Belagerung Laubachs
Es war im Kriegswinter 1792/93, bei der schlimmen Belagerung Laubachs
durch die Französischen Truppen unter dem berüchtigten Revolutionsgeneral
Championet.
Die Stadt war schlecht vorbereitet, zum einen, weil man dem vermeintlich
disziplinlosen Haufen von marodierenden Aufrührern nicht eine solche
militärische Schlagkraft zugetraut hatte, zum andern hatte man aber
auch aufgrund der guten Kontakte des Grafen Friedrich Ludwig Christian
zu den Regierungskreisen in Paris gehofft, von den schlimmsten Auswirkungen
der Kriegswirren verschont zu bleiben. All dies stellte sich nun als ein
eitle Selbsttäuschung heraus.
Hungersnot breitete sich aus und trieb die Menschen in die schiere Verzweiflung.
Der Preis für einen Pferdekopf stieg auf 100 Taler, was etwa dem
Jahresgehalt eines Universitätsprofssoren entsprach, und für
einen Eselskopf mußte man immerhin noch 80 Taler auf den Tisch blättern.
Der Graf stand auf der Stadtmauer und beobachtete das Treiben des feindlichen
Heeres, als eine Laubacher Bürgersfrau vor ihm auf die Knie fiel
und ihn verzweifelt anrief:
"Hilf in der Not, mein Herr und Graf!"
Er aber sagte:
"Hilft dir der HERR nicht, woher sollte ich dir helfen? Alle Vorräte
sind aufgebraucht, das Vieh in den Ställen ist geschlachtet, und
die Vorratskeller sind so leer wie die Scheuern und Speicher."
Die Frau verfiel in ein hilfloses weinerliches Wehklagen.
Und der Graf sagte zu ihr:
"Was hast du?
Sie sagte:
"Meine Nachbarin, die Frau (der Name tut nichts zur Sache) sagte
gestern zu mir: ‚Gib deinen Sohn her, daß wir ihn essen! Meinen
Sohn wollen wir dann morgen essen.‘ So kochten wir meinen Sohn und aßen
ihn.
Als ich aber heute zu ihr sagte: ‚Gib du jetzt auch deinen Sohn her, daß
wir ihn heute essen!‘ - da hatte sie ihn versteckt.
Als der Graf diese Worte hörte, zerriß er seine Kleider.
"Das steht zwar so nicht im Geschichtsbuch," sagte Dylan, "aber
ich habe es mit eigenen Ohren gehört und mit eigenen Augen gesehen.
Der Graf hat damals tatsächlich alle Tiere in der Stadt und im Schloß
schlachten lassen, mit Ausnahme seines persönlichen Reitpferdes und
meiner Wenigkeit.
Ich habe nach der Einnahme der Stadt durch die Franzosen Laubach verlassen
und bin bis zum heutigen Tag nicht mehr dorthin zurückgekehrt."
Dylans Traumvision
"Ausschlaggebend dafür war vor allem eine Erscheinung, die ich
an jenem Tag hatte. Eine Art Wachtraum oder Traumgesicht: Ich irrte ziellos
durch einen ungeheuer dichten und unwegsamen Mischwald. Plötzlich
erhoben sich rechts und links von mir zwei riesige, hohe Bildsäulen.
Auf der Spitze der Säule rechts von mir prangte ein übergroßer
grinsender Pferdekopf und auf der Säule links ein nicht minder großer
Eselskopf mit schrecklichen hohlen Augen. Plötzlich begannen die
Säulen zu wackeln und zu beben, und die Köpfe begannen gemeinsam
in einem tönernen hohlen Tonfall zu sprechen.
‚WENN DU ZWISCHEN DIESEN SÄULEN DURCHPASSIERST, WIRD SICH DEIN SCHICKSAL
ERFÜLLEN.‘
Dieser Traum hat mich so erschüttert, daß ich meine sieben
Sachen packte und der Stadt schleunigst den Rücken kehrte."
|