Literarische Arbeiten Lyrik out of here

Crespel als Gitarrenlehrer

"Ach ist das nicht Dylan, mein ehemaliger Gitarrenschüler."
Eine krächzende Fistelstimme hatte uns auf diese Weise angesprochen. Das Männchen hatte sich uns unbemerkt genähert. Dylan warf den Kopf herum und war ganz aus dem Häuschen.

"Nun wie sind die Namen der Gitarresaiten, mein Sohn?" krächzte die Stimme weiter.

"Ein alter dummer geiler hinkender Esel"

"Varianten?"
"Eine Alte Dumme Gans Hat Eier
Ein Anfänger Der Gitarre Habe Eifer!
Eine alte Dame ging Haifische essen.
Eine Alte Deutsche Gitarre Hält Ewig."

"Namen der Geigensaiten?"
"Geh, Du Alter Esel"
"Namen der Notenlinien?"
"Esel Geht Hurtig Durch Fleiß"
"Quintenzirkel?"
"Geh Du Alter Esel Hinter FIS und CIS. Feine Bauern ESsen AaS DES GESchlachteten CESar. oder:
Frische Brezen essen Asseln des Gestanks Geh' du alter Esel hole Fische oder:

nach rechts runter: Geh Du Alter Esel Hole FISch
nach links runter: Freche Buben ESsen ASseln DEShalb GESchrei
oder: Freche Buben ESsen ASpirin DEShalb GESund
Oder: Frische Birnen essen Asseln des Gesangsvereins."

"Namen der Dur-Tonarten bei unterschiedlicher Zahl von Kreuzen?"
"Geh Du Alter Esel Heute FISchen -
bei Vorzeichen "b"
Fünf Betrunkene ESel ASsen DESsert GESalzen -

Für die Zwischenräume:V (A)lte (C)owboys (e)ssen (g)ern."

"Sehr gut, sehr gut, sehr gut. Und woraus stellen wir die Gitarrensaiten her?"
"Aus Darm."
"Von welchem Tier?"
"Die billigeren Saiten aus Katzendarm, die teureren und klangvolleren aus den Därmen eines Eselfüllens."
"Ja, so ist das nun einmal. Wie werden die Saiten hergestellt?"
"Die Anfertigung von Saiten zum Bespannen von musikalischen Instrumenten, namentlich der dünnsten Sorten, beispielsweise der hohen E-Saite einer Gitarre, setzt ein außerordentlich gutes Material und einen hohen Grad von Sorgfalt voraus. Die wesentlichsten Eigenschaften einer guten Saite sind vollkommen gleiche Dicke und Schwere von einem Ende zum andern, sodann bedeutende Festigkeit, damit sie die zur Erzeugung hoher Töne erforderliche Festigkeit ertrage. Man wählt zu den feinern Saiten die Därme junger, höchsten sechs Monate alter, magerer Eselfüllen, befreit sie unmittelbar nach dem Schlachten von den Exkrementen sowie von anhängendem Fett und wäscht sie in Wasser aus. Hierauf bindet man eine Anzahl Därme an den dünnen Enden zusammen, weicht sie zwei Tage in Wasser ein, wodurch sich die Schleimhaut löst, schabt dann auf geneigten Tischen mit dem Rücken eines Messers die äußere Membrane ab und schiebt zugleich den inneren Schleim heraus. Alsdann werden die Därme nochmals eine Nacht in Wasser eingeweicht und abgeschabt. Die beiden Enden werden abgeschnitten, die dünnen Teile dagegen mehrmals nacheinander 12 Stunden eingeweicht und dann mit einer immer stärkeren alkalischen Lauge behandelt, bis sie nach Verlauf von vier bis fünf Tagen hell gefärbt und aufgeschwollen erscheinen. Bei dieser Behandlung werden die Därme wiederholt mittels eines Ringes oder eines offenen Fingerhuts gestrichen. Während zu den feinsten Saiten von 1/3 bis ˝ mm Durchmesser nur ein einzelner Darm verwendet wird, nimmt man zu den dicksten Kontrabaßsaiten bis zu 120 Därme.
Zum Drehen und Spinnen, welches in noch feuchtem Zustand der Därme vorgenommen wird, dient ein Drehrad von ähnlicher Einrichtung, wie es von den Seilern zum Drehen der Bindfäden gebraucht wird. Zwischen den wiederholten Manipulationen des Drehens werden dieselben geschwefelt, worauf man sie durch Reiben mittels einer Pferdehaarschnur, dann mittels eienes Reibholzes glättet und an der Luft trocknet. Zuletzt reibt man sie, um sie geschmeidig zu machen, mit Mandel- oder Olivenöl ein, rollt sie in Ringe zusammen und bindet sie mit ganz feiner Darmsaite."

"Genug, genug!" krächzte das Männlein. "Ein bemerkenswertes Gedächtnis hat dieser Esel, das muß man ihm lassen. Aber was lernen wir am Ende daraus?"

"Wir benutzen keine Darmsaiten, sondern entweder Nylon- oder Stahlsaiten, und lassen die kleinen Eselfüllen samt den billigeren Katzen lieber am Leben."

"Jawohl so ist es!" schrie er. "So ist es, so ist es!" Und er hüpfte dabei auf einem Bein im Kreis herum und klatschte schallend in seine kleinen Händchen, als wären sie die Kastagnetten einer Flamencotänzerin aus dem heißesten Andalusien.

"Ein bemerkenswerter Lehrer, dieser Krespel, findest du nicht?" sagte Dylan zu mir gewandt.
"Wie, das ist der berühmte Rath Krespel, der Geigensammler und Geigenzerleger?"

"Genau der."

"Und der war dein Gitarrenlehrer?"

"So ist es."

"Nicht zu fassen.
Und hat er dir außer den Eselsbrücken und diesem Eselsdarmunfug wenigstens auch noch zwei, drei Akkorde beigebracht?"

Ich ahnte nämlich bereits, daß wir dabei waren, ein neues Kapitel aus dem großen Eselbuch aufzuschlagen, und das Kapitel würde den Titel haben: ‚Der lauteschlagende Esel oder der Esel in der Musik.‘
Das Thema ist, wie man weiß, eine immer wiederkehrende und immer wieder neu variierte Lachnummer in der Kulturgeschichte des Esels, angefangen vom König Midas mit seinen Eselsohren, über die zahlreichen Sängerwettstreite mit Eselbeteiligung in Fabeln und Volksliedern, nicht zu vergessen die Bremer Stadtmusikanten, bis hin zum lauteschlagenden Esel in Heinrich Heines Spätlyrik.
Wie selbstverständlich kommt dem Esel dabei meistens die Rolle des ebenso unmusikalischen wie auf seine vermeintlichen Künste eingebildeten Musikanten oder Sängers zu.

Dylan stellte sich auf die Hinterbeine und richtete seinen Körper zu voller Größe auf.

"Ich selber übe die Tonkunst ein wenig,
Wie Elvis Presley, der Rock’n Roll König.
Ich spiel die Gitarre, die Krespel mir baute
Und manches schöne Auge schaute
Sehnsüchtig mich an, wenn ich mit Gefühl
Geklimpert auf meinem Saitenspiel."

"Mit deinen klobigen Hufen, na das wird ja ein seltenes Fingerpicking gewesen sein, laß mal hören."
Ich hatte inzwischen meine Gitarre aus ihrer Schutzhülle genommen und reichte sie ihm hin.

"O der Krespel ist ein kluger Mann, der hat mir gezeigt, wie man sich dabei behelfen kann, man muß die Gitarre nur ein klein wenig anders stimmen, ich bitte daher um ein wenig Geduld."

Krespel hatte mit seinem Veitstanz aufgehört, aber er klatschte noch immer in die Hände.

Dummer geiler dummer geiler hinkender dummer

[open g-tuning für bottle-neck-technik, der Flaschenhals den klobigen Eselshuf repräsentierend]


   
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