Literarische Arbeiten Lyrik out of here

Sommernachtstraum
Laubacher Wald

Doch damit war noch kein Ende der Sonnwendtollheit in Sicht.
Die sprichwörtliche Verwirrung der Geister in dieser Nacht schien im Gegenteil erst ihren Anfang genommen zu haben.
Nach dem Elfenreigen kam nämlich der Auftritt der Handwerker.

Der Bach hatte in seinem Lauf gerade wieder einmal eine von seinen vielen Schlängellinien vollzogen, als eine Schar von ungeschlachten Burschen und barbarischen Gesellen, die einen derben Rüpeltanz vollführten, uns den Weg versperrte.

Der älteste unter ihnen trat nach einiger Zeit erschöpft aus dem Spektakel heraus und setzte sich keuchend und schnaufend neben Dylan und mir auf einen Baumstumpf. Wir erkundigten uns, was es mit dem Tanz auf sich habe, und er erzählte folgende Geschichte.

"Ich bin der Schulmeister Quinz Squenz."
"Genannt Merks," raunte mir Dylan zu.

"Direktor der gräflich laubachischen Lateinschule. Verfasser der berühmten Erziehungsschrift ‚Das Bild des Esels als Bildungs- und Erziehungsmittel‘.

"Du kennst den Schwadroneur?" raunte ich zurück. "Wieso Merks?"
"Der hatte so eine Redensart: ‚Merks du grobes Eselshirn, ich will dir’s kurz teutsch und verständig in deine lange Eselsohren reiben.‘"
"Verstehe."

"Mein Motto war: ‚Alles zu Nutzen und Frommen der Schüler‘.

Ein
puer gar viel lernen muß,
Wenn er will werden dominus,
Lernt er aber mit Verdruß,
So bleibt er nur ein asinus
!


Ich habe in jenem grundlegenden pädagogischen Nachschlagewerk unter anderem all die nützlichen erzieherischen Maßnahmen für dumme Schüler aufgeführt, die ich in meinem langen Schulmeisterleben nach und nach entwickelt habe. So habe ich beispielsweise die Eselsbank für unbotmäßige und renitente Schüler erfunden und weithin bekanntgemacht. Auch eine ganze Reihe anderer Schulstrafen. Das Schandesel reiten, das Aufsetzen von Eselsköpfen und Eselsohren usw."

"Und zur Strafe müssen sie jetzt jedes Jahr zur Johannisnacht solange rüpeltanzen, bis Sie fast erschöpft zusammenbrechen.
Das verstehe ich wohl, aber was haben diese Burschen dort damit zu tun?"

"Wir erinnern mit diesem prächtigen Schauspiel an eine Begebenheit, die sich hier in diesem Wald im Jahr 1371 zugetragen hat.
In diesem Jahr hatte sich nämlich der Kaiser Barbarossa mit seiner Jagdgesellschaft in den Laubacher Wald begeben, um hier seiner Lieblingsbeschäftigung, dem Jagen, zu frönen.
Dank meiner guten Verbindungen hatte ich, der Lateinschulmeister Quinz Squenz, erfahren, daß der Kaiser nicht nur ein leidenschaftlicher Jäger, sondern auch ein großer Liebhaber von allerlei lustigen Tragödien und prächtigen Komödien sei. Daher überredete ich die Handwerker Laubachs, ein Theaterstück einzustudieren und dies bei dieser Gelegenheit vor dem Kaiser aufzuführen. Um Ehre und Ruhm für die Vaterstadt einzulegen!"

Soviel Pathos reizte Dylan zum Spott:
"Bei gleichzeitiger Hoffnung auf reichliche ‚Verehrun‘ barer kaiserlicher Münzen für die einzelnen Darsteller und speziell für ihn selbst als Prinzipal der Truppe."

"Ich hätte ja gern ein altbewährtes Stück wie ‚Pyramus und Thisbe‘ zur Aufführung gebracht, aber die Handwerker waren nicht dazu zu bewegen. Sie meinten, man sollte etwas aus dem wirklichen Leben spielen, am besten aus dem Handwerkerleben, denn das könnten sia ja von berufswegen am besten. Nun gab es zu dieser Zeit auf der ganzen Welt keine Handwerkerstücke, da blieb nur eins: selbst Hand anlegen und eines auf eigene Faust verfaßt.
- Am besten wenn der Handlungsort Laubach ist, da kennen wir uns aus. -
- Aber eine einmalige und unverwechselbare Handlung muß es schon sein, da beißt die Maus keinen Faden ab. - Usw. usw.
Man kennt das ja, wenn beim Auskaspern einer Sache die Phantasie ihren Lauf nimmt.
Kurz: Am Ende wurden beschlossen, den Hausbau des Rath Krespel zur Darstellung zu bringen.
Da ich, wie oben erwähnt, auf eine gewisse literarische Erfahrung zurückgreifen konnte, fiel mir der Part zu, ein passendes Textmanuskript zu verfassen.

An die Schwierigkeiten bei der Rollenbesetzung mag ich gar nicht mehr denken. Am schnellsten waren die Rollen für die Wände und die Fenster zu verteilen, denn die brauchten keinen Text auswendig zu lernen. Für den Auftritt von Goethes Mutter im Prolog war aber überhaupt niemand zu finden, so daß ich diese Aufgabe schließlich selber übernahm:"

Quinz-Squenz, genannt Merks, stellte sich in Positur

"Prolog Auftritt Frau Rath Goethe
Ein Briefmanuskript in der Hand haltend

Der Rat Crespel ist jetzt auf den Esel gekommen und ein Bauer geworden, hat in Laubach Güter gekauft, das heißt etliche Baumstücke, - baut auf dieselbe ein Hauß nach eigener Invenstion, hat aber in dem kickelsort weder Mauerer noch Zimmerleute, weder Schreiner noch Glaßer – das ist er nun alles selbst – es wird ein Haus werden – wie seine Hoßen, die er auch selbst Fabriciert – Muster leihe mir deine Form!!
Und erst das Laubacher Landvolk, lieber Wolfgang, das ist, im ganzen genommen, bis zum Ekel häßlich. Die Weibsleute sind die eckigsten Karikaturen, die ich noch gesehen habe. Ihre Kleidung ist abscheulich. Die meisten gehen ganz schwarz und tragen die Röcke so hoch, daß man gar keine Taille, wohl aber die ungelenken Stampffüße bis an die Knie erblickt. Die Männer ersetzen zum Teil durch eine anscheinende Stärke, was ihnen an Schönheit mangelt. Im ganzen sind sie kein großer, aber ein dauerhafter und behender Schlag Leute. Hie und da erblickte ich auch riesenmäßige Figuren, die aber alle ungeheure Köpfe und Füße hatten. Sie sind meistens blond und kraushaaricht. Ihre Lebensart ist rauh; Erdäpfel und Branntewein, den man auch den Kindern gibt, sind ihre vorzüglichsten Nahrungsmittel.


Natürlich gab es um diesen Text eine heiße Auseinandersetzung unter den Darstellern

- Ein Schimpff-Stück aufführen, das mag ja noch angehen, aber muß das auf eine solche Art in Selbstverunglimpfung ausarten? - Das war so etwa das Hauptargument.

- Aber denkt doch mal nach, worauf es ankommt ist doch, daß der Kaiser lacht, es heißt daß seine Finanzräte pro kaiserlichem Lacher 15 Gulden pro Darsteller auszahlen. -
Das Argumet zog, denn den Laubacher Handwerkern kann man alles nachsagen, nur nicht, daß sie nicht zu rechnen verstünden.
Ein letztes Flämmchen von Widerstand regte sich allerdings noch, was die Bezeichnung kickelsort anbetraf.

- Aber muß denn das mit dem gickelsdorf unbedingt im Text bleiben, kann der Kaiser nicht genausogut lachen, wenn es hieße "in dem schönen Ort", "in dem holden Laubach", "in dem gemütlichen Solmsschen Residenzstädtchen mit seinem milden Klima", "in dem Luftkurort Laubach, an der Pforte zum Naturpark Hoher Vogelsberg" oder so ähnlich? -

Ich mußte meine ganze Kompetenz als Lateinschullehrer in die Waagschale werfen, um den Text, so wie er war, durchzuboxen:
- Gickelsort, das ist lateinisch und kommt von giga die Geige, versteht ihr, der Crespel hat doch die teuren Geigen gesammelt, das ist eine ganz feinsinnige Anspielung, solcher Beziehungsreichtum ist unabdingbar in der Kunst des Stückeschreibens. -

Weniger Hickhack gab es bei der Frage, wo wird gespielt?
- Natürlich im Laubacher Wald, wo der Kaiser eine Jagdpause einlegt. -
- Man muß den für das Jagdzeremoniell zuständigen Hofbeamten bestechen. -
- Und der gräfliche Oberjäger muß natürlich auch ein bißchen ‚informiert‘ werden. -
- Aber das lästige Gequake von den Fröschen, da kann man doch nicht Theater spielen. –"

"Quamvis sint sub aqua, sub aqua maledicere temptant," murmelte Squenz nachdenklich vor sich hin.

" - Das sollen die Freinseener machen, die sind doch Spezialisten auf dem Gebiet der Froschlöcher und Krötenpfuhle, die sollen für Ruhe sorgen. –
- Jawohl. Kann man schließlich auch verlangen, wenn ein Kaiser in der Gegend zu Besuch ist. -

So geschah es. Um die Ruhe ihres Kaisers besorgt, machten sich die Freienseener am nämlichen Abend zu den umliegenden Seen auf, um das Quaken der abertausend Frösche mit Stöcken, Harken und Mistgabeln zu unterbinden. Dieses Unterfangen ist ihnen auch wirklich gelungen, und der Kaiser, der die Ruhe lieber zum Schlafen als zum Betrachten unseres Schauspiels nutzte, verlieh daraufhin am nächsten Morgen den Freienseenern die Rechte eines freien Reichsdorfes, während wir guten Laubacher nicht nur das Nachsehen hatten, sondern auch noch obendrein den Spott der Freienseener zu fressen bekamen.

Alljährlich zur Sommersonnenwende stehen wir seitem aus unseren Gräbern auf dem Laubacher Friedhof auf und ziehen heraus in den Laubacher Wald, um dort das verhinderte Theaterstück doch noch zur Aufführung zu bringen.


   
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