Wissenschaftliche Publikationen Texte Spätaufklärung und Gegenaufklärung
2.5. Jakobinerriecherei, Zensurprozesse und Untersuchungskommissionen gegen mißliebige Universitätsangehörige
2.6. Entstehung der Eudämonia, Affäre Greineisen und literarische Fehde um Grolmans Obskurantismus
2.7. Patriotismus oder konspirativer Egoismus?

2.4. Aufdeckung der "Deutschen Union", Fall des Syndikus Minnigerode, Denunziation des "Schwarzen Ordens" und konspiratives Treffen mit dem Minister Gatzert

Als die Deutsche Union59 als radikal-aufklärerischer Geheimbund, in dem auch Elisa von der Recke Mitglied war, entdeckt zu werden begann, war Grolman einer der ersten, die den ehemaligen Gießener Theologieprofessor Bahrdt als den Drahtzieher und geheimen Kopf der Organisation ausgemacht hatten, so daß er von nun an seine polemischen Ausfälle wieder verstärkt auf Bahrdt ausdehnte.60 Die ganze Affäre gab Grolman Gelegenheit, die Geheimorganisation der Deutschen Union als Beweis für das geheime Fortwirken des seinerzeit aufgelösten Illuminatenordens zu werten61. Durch die nach und nach auftauchenden Mitgliederlisten konnte er eine ganze Reihe von Personen aus seiner näheren Umgebung, darunter die Gießener Professoren Hezel und Crome sowie der Dillenburger Justizrat von Knoblauch, der enge Kontakte nach Gießen unterhielt, als Mitarbeiter Bahrdts namhaft machen und so bei der nächsten passenden Gelegenheit gegen sie vorgehen.

Mitte September 1789 hielt der Stadtsyndikus im oberhessischen Alsfeld, Benjamin Minnigerode62, die Zeitumstände für geeignet, die seit langem außer Kraft gesetzte landständische Mitbestimmung wieder in Gang zu bringen.63 In verschiedenen Schreiben an Bürgermeister und Landtagskollegen forderte er diese auf, ihre überkommenen Privilegien in Anspruch zu nehmen und seinen Vorstoß zur Einberufung der Landstände zu unterstützen. Minnigerode beabsichtigte, den Landgrafen mit einer Sturmpetition der Ständevertreter unter Druck zu setzen, was zwar an sich legitim war, nach damaligem Verständnis aber gleichwohl als eine revolutionäre Aktion aufgefaßt wurde.64 Der Geheime Rat in Darmstadt ließ die Angelegenheit durch den zuständigen Gießener Regierungspräsidenten Grolman untersuchen, der bemerkenswerter Weise in diesem Fall keineswegs mit Übereifer65 agierte, sondern im Gegenteil einen beschwichtigenden Bericht nach Darmstadt einsandte, in dem Minnigerode als reuiger Sünder dargestellt wurde. Der Landgraf wollte aber ein Exempel statuieren und ordnete die sofortige Verhaftung Minnegerodes an, die Grolman dann persönlich in einer Aufsehen vermeidenden Nacht- und Nebelaktion vornahm. Mit einem verborgenen Terzerol erschoß sich dann Minnigerode in der Kutsche, die ihn nach Gießen bringen sollte, so daß er dem ihm gegenübersitzenden Wächter tot in den Schoß fiel.

In ernsthafte Schwierigkeiten geriet Grolman im Herbst 1791 durch seine undurchsichtige Doppelstrategie des verdeckten Ermittelns auf der einen und der anonymen öffentlichen Anprangerung auf der anderen Seite, als er aufgrund vertraulicher Hinweise aus seinem Freundeskreis zu der Befürchtung Anlaß nehmen mußte, er sei beim Landgrafen als einer der geheimen Hintermänner eines Studentenordens, des sogenannten "Schwarzen Ordens", angezeigt worden. Die Tatsache, daß Grolman daraufhin mit einer geradezu panischen Reaktion seine Selbstrechtfertigung zu betreiben genötigt war, macht es sehr wahrscheinlich, daß er in der Tat versucht haben muß, in den Orden einzudringen. Die für seine Person äußerst bedrohliche Lage, in die er durch die zu befürchtenden Konsequenzen der Denunziation geraten war, veranlaßte ihn, die Flucht nach vorne anzutreten und in einem Schreiben nach Darmstadt zu den mutmaßlichen Vorwürfen Stellung zu nehmen. Dabei versuchte er glaubhaft zu machen, daß ihm alles daran gelegen sei, die Machenschaften des Ordens rückhaltlos aufzudecken, und brachte als Beleg für diese Haltung vor, daß er sogar im Familienkreis bei seinen damals studierenden Söhnen und in seiner Verwandtschaft bei einem aus Kleve stammenden Vetter Nachforschungen angestellt und im letzteren Fall sogar eine Untersuchung der preußischen Behörden in dessen Heimatort habe anstellen lassen. Ein wesentlicher Zweck des Grolmanschen Schreibens war es, Kenntnis über den Inhalt des vermeintlich so brisanten Päckchens zu erhalten, vorgeblich um seine Verteidigung aufbauen und gegebenenfalls noch unbekannte Hintergründe ausfindig machen zu können. In Wirklichkeit aber, darüber können die verkünstelten, sein wahres Anliegen verschleiern sollenden Redefiguren keinen Zweifel lassen, war ihm vor allem daran gelegen, möglichst zu erfahren, in welchem Umfang seine subversive Ausforschung des Ordens der Geheimhaltung entrissen war. Dabei kann man wohl nicht überschätzen, welches einschneidende Ereignis in der Biographie Grolmans diese befürchtete Denunziation darstellte, da sie für die wachsende Radikalisierung seines politischen Selbstverständnisses und die zunehmende Härte im Vorgehen gegen seine politischen Gegner ausschlaggebend war. Die sein Verhalten von nun an charakterisierende Rücksichtslosigkeit und Skrupellosigkeit, wie sie in den von ihm in die Wege geleiteten Zensurprozessen gegen die Gießener Professoren Karl Christian Erhard Schmid und Georg Friedrich Werner sowie bei der Verhaftnehmung des Privatdozenten Greineisen sichtbar werden sollte, hatten ihren Ursprung in dieser Affäre, die durch die unveröffentlichten Briefe an den Minister und Universitätskurator von Gatzert und dessen Antwortschreiben im Darmstädter Grolman-Nachlaß hervorragend dokumentiert ist:

Gießen, d. 15. Nov. 1791.66

Ew. Rfrhl. Excellenz haben mich schon einmal in der hiesigen Logen Angelegenheit aus einer Verlegenheit heraus gesetzet. Das macht mich so kühn, in einer ähnlichen Verlegenheit dero Hülfe und Rath vertrauensvoll aufzurufen, wo ich wahnsinniger oder boshafter Weise als ein Mitglied des sogenannten schwartzen Ordens von Studenten bey Ser[enissi]mo angegeben worden seyn soll. Das Factum ist folgendes. Vor etwa 10. Tagen sagt mir H. R[egierungs]Rath Adolphi in der Session, Er müsse aus Achtung und Freundschaft mir etwas entdecken, das seine ganze Verwunderung erreget habe, damit ich meine Masregeln darnach nehmen könne. Als er nemlich dem Kath. Professor Schalck seine Visite gemacht, wäre auch der zeitige H. Rector Müller da geweßen, auch mehre andere, die aber sogleich weggegangen. Der Prof. Schalck habe den Rector Müller gefragt, ob er denn auch in geheimen Gesellschaften stehe, worauf derselbe geantwortet: Nein! ich weis aber manches von ihnen. Noch neuerlich ist mir ein ganzes Päckgen vom schwartzen Orden, den wir auch auf der Universität haben, zugeschickt worden, das habe ich aber sogleich unmittelbar an Ser[enissi]mum eingesendet. Es waren nahmhafte Männer als Mitglieder genannt, unter andern auch der Reg. Director von Grolman.

Es sind hier zwey Fälle möglich. Entweder hat H. Prof. Müller das ganze Vorgeben mit dem Päckgen erdacht, oder er hat das Päckgen wirklich erhalten, solches an Ser[enissi]mum eingesendet, u. ich bin darin genannt. Im ersten Fall habe ich beschlossen, die Lügen eines, wie stadtkundig ist, über alles was zur fürstl. Regierung gehört, höchst aufgebrachten Mannes um so mehr mit Verachtung zu übersehen, als ohnehin kein Mensch ihm und zumahl ihm solche glaubt. Im lezten Fall aber wird die Sache von Wichtigkeit für mich und für das Publikum.

Mir darf und kann es nicht gleichgültig seyn bey meinem gnädigsten Landesfürsten, dem ich außer meiner schuldigen Pflicht mit persönlichem Attachement diene, und seinem Wohl und seinem Dienst mit der scrupulosesten Treue ergeben bin, als ein schlechter Kerl dargestellt zu seyn, der wohl gar zu einer Rotte unbesonnener Phantasten gehört, die - wenn sie auch selbst noch nicht bis zu dem Grade des Verderbens gefallen seyn sollte, dennoch wie ich vollkommen überzeugt bin, von einer andern mächtigen Gesellschaft als Pflanzschule geleitet wird, die nichts weniger als das Wohl, Ansehen und Auctorität der Fürsten zu ihrem Endzweck hat, sondern die Keime zum mal francois im stillen ausstreut.

Für das Publikum, für das Wohl des Landes und hiesiger Universität, für die Ruhe ängstlich besorgter Väter wird die Sache von äuserster Wichtigkeit. Denn ist ein solch Päckgen dem Rector Müller wirklich zu Handen gekommen u. von ihm Ser[enissi]mo übersendet worden, so verdient die Sache nicht unterdrückt sondern ganz genau untersucht zu werden, weil man alsdann vielleicht so glücklich ist, dem schwartzen Orden hinter seine Schliche zu kommen, was der fürstl. Universität und vielen bey derselben pflichtmäßig beeiferten Professoren bisher unmöglich gewesen seyn soll. Vielleicht läßt sich aus der Handschrift, Siegel, Ausdrücken und andern Umständen manches entdecken das weiter führt. Denn sicherlich ist das ganze Ding nichts anders als eine Kriegeslist; weil dem Vernehmen nach schwerlich wieder Nachforschungen angestellt worden seyn sollen, so hat man gedacht durch eine solche Finte die Sache zu embrouilliren, die Aufmerksamkeit von den eigentlichen Mitgliedern abzuziehen und Verdacht auf andere zu werfen, auch vielleicht durch die vermeynte Wichtigkeit und Ansehen der genannten Männer raschere Schritte der Untersuchung zu hemmen.

Insbesondere kann man mich auch aus Rachsucht dazu auserkohren haben, einen erdichteten Katalog der Mitglieder zu zieren. Denn ich kann nicht läugnen, daß ich in allen Gesellschaften oft und vielmals über die Studenten Orden und insbesondere über den schwartzen Orden mich mit Heftigkeit geäußert habe, daß ich alle mögliche auch öffentliche Maasregeln genommen habe, und meine beiden Söhne, die jetzt hier studiren, dafür zu bewahren, ja daß ich bey einem bey mir eingezogenen Vetter aus dem Preußischen, der anderthalb Jahre noch hier studirte, und bey dem ich auf eine Spur der Aufnahme in den schwartzen Orden gekommen zu seyn glaubte, bey dessen Abreise wegen einem dem Verlaut nach von hiesigen Studenten mitgenommenen Kästgen mit Ordens Papieren zur dortigen Abgabe an ein Mitglied, eine öffentliche Untersuchung selbst in Cleve, aber freylich ohne Wirkung angestellt habe, nicht zu gedenken, daß ich mich in gedruckten Schriften über diejenige unsichtbar wirkende Gesellschaft, von der ich glaube, daß sie zumahl die Studenten Orden nicht verschmähet, um sich Zöglinge zu bilden, frey und scharf geäußert habe, wie jeder ehrliche Mann und treue Diener des Staats thun wird, der wie ich Gelegenheit hat, sie ganz in naturalibus kennen zu lernen.

Ew. Rfrhl. Excellenz erlauchtestem patriotischen Ermessen überlasse es lediglich, auf welche schickliche Art die wirkliche Ankunft eines solchen Päckgens bey Unser gnädigstem Herrn hochfürstl. Durchlaucht in Unterthänigkeit zu erfragen sey. Ist es aber wirklich angelangt, alsdenn bitte ich mir es zur Gnade aus, daß ich darüber unter dessen Mitteilung zur berichtlichen Verantwortung gezogen werde. Ich werde alsdann in meinem Verantwortungs Bericht offenbarzeigen, wie schändlich die gespielte Bosheit ist, ich werde offenherzig alle Gedanken ausführlich darlegen, nach welchen ich glaube, daß hinter dem schwartzen Orden noch ganz andere Dinge verborgen sind, ich werde endlich die Ursachen angeben, warum aus den bisherigen Universitäts Untersuchungen so wenig fruchtbares entstehen können, und vielleicht Mittel zeigen, wodurch eher hinter die Wahrheit zu kommen, und das Nest zu zerstören ist, wenn zumal das Päckgen selbst, wie ich gewis vermuthe, noch mehr Licht geben sollte. Das allerstrengste Stillschweigen und Geheimnis ist aber in dieser Sache nöthig, weil Aufspürer allenthalben sitzen, und da vielleicht am ersten sitzen, wo man sie am wenigsten vermuthet. Ich beharre p.p.

Das Antwortschreiben Gatzerts67, das den 12. Dezember 1791 datiert ist, war so formuliert, daß es Grolman keinerlei Gewißheit bringen konnte. Gatzert vermeldete, daß er mit dem Landgrafen in der Angelegenheit Rücksprache genommen habe, daß man sich aber nicht gewiß entsinnen könne, ob ein solches Päckchen mit Aufschlüssen über den fraglichen Studentenorden angelangt sei. Allerdings werde der Sache nachgeforscht. Inzwischen solle der Sache demnächst auf den Grund gesehen und "dem Unheil möglichst abgeholfen" werden. Der Fürst habe daher Gatzert beauftragt, Grolman zu ersuchen, "alles Ihnen von dem schwarzen Orden bekannte sub fide silentii mir getreulich benebst dero Vorschlägen gütigst zu eröffnen, wie am sichersten hinter das Geheimniß zu kommen u. bey Eurer Universität in dieser Absicht zu procediren seyn möchte." Wie sehr das Gatzertsche Antwortschreiben Grolman unter Zugzwang setzen sollte, erwies das wenig später erfolgte zweite Schreiben Grolmans an Gatzert. Zwar kam Grolman der Aufforderung Gatzerts in Bezug auf die zu treffenden Vorkehrungen zur Ausforschung und Unschädlichmachung des "Schwarzen Ordens" bereitwillig und entgegenkommend nach, wobei er eine bemerkenswerte inquisitorische Phantasie offenbarte. Kernstück des Maßnahmenkatalogs war die strikte Geheimhaltungsgarantie für denunziatorische Eingaben an die Untersuchungsbehörde und die Ausforschung der politischen Standpunkte jedes einzelnen Akademiemitglieds durch systematische Kompilation und Analyse aller in die Thematik einschlagenden Protokolle und Partikularvoten seit 1780. Neben der Propagierung dieser breit angelegten, systematischen Gesinnungsschnüffelei verstieg sich Grolman in seinen Vorschlägen sogar soweit, daß er bei entsprechendem fortgeschrittenen Stand der Ermittlungen einen schnellen und unbürokratischen Überraschungsschlag gegen die Ordensmitglieder durch den Einsatz von Militär anzuraten für passend hielt. Doch was die andere Hälfte des fürstlichen Ansinnens an Grolman betraf, nämlich die Aufdeckung dessen, was er bisher über den Orden in Erfahrung habe bringen können, hielt sich der Gießener Regierungsdirektor geflissentlich bedeckt. Stattdessen forderte er erneut und deutlicher als vorher die Übermittlung des Inhalts des ominösen Päckchens68:

Gießen d. 20. Dec. 1791 69

Ew. Rfrhl. Excellenz verzeihen hochgeneigtest, daß ich nicht auf der Stelle geantwortet. Die Arbeiten in den lezten Wochen vor dem Feste sind bey beiden Collegiis gewöhnlich so häufig, daß ich fast an nichts anderes denken konnte, als mein Amt zu verrichten. Jetzo gratulire ich vor allen Dingen zur glücklichen Wiedergenesung, und bezeuge meine große Freude daß wenn auch das Paket quaest. angelangt seye, und meinen Nahmen enthalten haben sollte, die Verläumdung jedoch auf meinen gnädigsten Fürsten keinen Eindruck gemacht hat, und höchstdieselben dero gnädigstes Vertrauen mir annoch schenken. Ich werde auch diesem gnädigsten Vertrauen auf das Vollkommenste zu entsprechen suchen, und alles pflichtmäßig angeben. Allein ich muß die unterthänigste Bitte, das Paket quaest. mir mitzutheilen, aus doppeltem Grunde wiederholen. Einmal weil es mir ganz unerträglich seyn würde, wenn nur ein Soupcon eines Fleckens meinethalben bey Ser[enissi]mo haften sollte, den ich doch ganz sicher wegzuwischen im Stande bin; und dann weil jenes Paket ganz gewiß nähere Data zur Entdeckung des Geheimnisses an Handen geben wird. Ich hoffe daher Verzeihung zu erhalten, wenn ich dermalen nur die Vorschläge angebe, nach welchen ich glaube, daß am sichersten hinter das Geheimniß auf hiesiger Universität zu kommen sey. Die Sache ist ohnehin von großer Weitläuftigkeit, ich werde mich unverzüglich auch an die Erzählung von demjenigen machen, was mir von dem schwartzen Orden weiter bekannt geworden, und wie derselbe höchst wahrscheinlicher Weise als eine Pflanzschule mit einer andern mächtigen Gesellschaft zusammenhänge, und unter der Zeit hoffe ich jenes Paket gnädigst mitgetheilt zu erhalten. Ehe ich die Vorschläge selbst eröffne, muß ich noch Verschiedenes von mir voraus gehen lassen, auf welches sie gebauet sind. Es ist bekannt, daß Studenten, die in den schwartzen Orden getreten sind, einer Art von ungebundener Freyheit sich ergeben, bey Schlägereyen und andern Vorfällen Alle vor einen Mann stehen, Komplotte machen, daß bey diesem oder jenem Professor ein Kollegium gehört oder nicht gehört werden soll, die Anstifter und Werber zu Ständchen für die begünstigten Professoren sind, dergleichen aber bey andern behindern.

Ferner habe ich bey vertrauten Unterredungen mit einigen wohlgesinnten Professoren, wenn eben Untersuchungen gegen den schwartzen Orden vorgewesen, folgende eintzeln hingeworfene Klagen oder Bemerkungen vernommen: Ja! wenn sie alle recht ziehen wollten? Aber ich werde bey der Sache nicht unterstüzt, und am Ende habe ich nur den Haß und den Schaden davon. Hat man mir doch schon jenes Kollegium vereitelt! Die Sache ist wieder nicht recht angegriffen worden. Man hätte schärfer in die Leute dringen sollen; aber man fürchtete sich vielleicht selbst, oder muthmaßte, daß ein Verwandter genannt werden könnte. Was kann dabey herauskommen? Haben nicht eben diese Leute jenes Kollegium zu Stande gebracht? Wenn diejenigen, die mit standhaften votis vorausgehen sollten, entweder gar nicht votiren, und sich von der Sache abdrehen, oder wenn sie votiren, schwach und schonend votiren, was sollen die nachfolgenden votantes machen? Sich noch die Fenster einwerfen lassen? Gesezt wir entdecken auch, wo die Ordenssachen liegen; so würde doch alles verrathen seyn, ehe wir die nöthige Hülfe erlangen könnten, um das Nest auszuheben. Es sind auch andere Personen vom Militair und dem civil Stande im Orden, und das hindert auch. Wirklich hat man mir auch sowohl Professoren als einen Officier und einige die unter der Regierung stehen genannt, auch wohl zu verstehen gegeben, daß solche Nahmen, wenn sie bey Verhören vorgekommen, im Protokoll wieder ausgestrichen werden müssen. Ich habe hoch und theuer versichert, daß sobald man mir nur einige Data expeditiren würde, ich durch die Regierung mit ganz anderem Nachdruck würde zu Werke gehen lassen. Aber man hat mir nichts mitgetheilt, und auf bloße Soupcons jemand als einen Theilhaber an einem so schwartzen Geschäfte anzugreifen oder nur zu nennen, habe ich noch immer für unrecht halten müssen. Auch gegen die genannte Personen habe ich mich nicht das mindeste merken lassen, um wenn sie ja schuldig wären, nicht zu früh Nachdenken und Behutsamkeit bey ihnen zu veranlassen.

Weiter wurde mir gesagt, daß einige Studenten eingestanden, daß der Orden auf den meisten Akademien seine Connexion habe, daß bey dem Eintritt versprochen wurde, auch wenn man zum Eidschwur genöthiget werde, nichts davon zu entdecken, mit dem Anhang, daß auch ein Eid zum Abschwören des Ordens null und nichtig sey, daß große Männer zu Schutz und Dache des Ordens vereint wären, und daß sie auch bloß aus Besorgniß ihres Wohls nichts eingestehen dürften, ja daß verschiedene, unter andern Einer Nahmens Richtmann aus der Pfalz, bey beweglichem Lamentiren über das Unglück worein er dadurch versezt werde, lieber die Relegation sich gefallen lassen, als nur das mindeste verrathen habe.

Ich komme nun zu den Vorschlägen selbst.

1.) wären alle über das Ordenswesen seit 1780. verhandelte Protocolle, vota und überhaupt alle und jede davon sprechende acta abzufordern. So viel ich weiß ist der Universitäts Secretarius zugleich der Registrator und hat die Registratur unter seinem Beschluß. Dieser Secretarius ist ohnehin ein ehrlicher und sehr verschwiegener Mann. In des Univers. Syndici Obliegenheit schlägt es mit ein, auch für den Bestand der Registratur zu sorgen. Ich muß hier anführen, daß eben dieser Syndicus einer von den Professoren ist, die vor mehreren Jahren solche Aeußerungen im vertrauten Zirkel gethan haben, wie ich oben angeführt. Auf seine Verschwiegenheit glaube ich kann man sich gänzlich verlassen. Die strengste Verschwiegenheit aber im eigentlichsten Verstande des Worts ist bey der ganzen Sache die erste und nothwendigste Vorsichtigkeits Regel, so daß man nicht einmal wissen muß, daß die Akten aus der Registratur erhoben worden sind. An den Syndicus wäre nun folgender fürstl. Befehl zu erlassen: daß er dem Secretarius sogleich vor sich fordern, ihn auf seine Eides Pflicht das strengste Stillschweigen, und ihm befehlen solle, jene Akten sogleich in der Stille zu erheben, und sie ihm Syndico zur Absendung nach Hofe zu behändigen, und habe er bey Strafe infamer Cassation weder dem Rector noch dem Cancellario oder einem Professoren oder sonst irgend jemand auf Befragen, weder jetzt noch in Zukunft, ein Wort davon zu sagen; und wenn je die Akten, während der Zeit, daß man solcher höchsten Orts benöthiget seye, von ihm verlangt werden sollten, so könne er sich damit entschuldigen, daß er solche H. Curatori Academiae auf Verlangen zur Einsicht habe senden müssen; zugleich wäre auch dem Syndico das tiefste Stillschweigen zu empfehlen.

Hat man die Akten, so läßt sich bald sehen, wo etwa ein Fehler in der Art der Untersuchung steckt, und wo solche etwa wieder anzuknüpfen seyn möchte. Der Haupt Vortheil aber, der dabey herauskömmt ist, daß man sich von den Gesinnungen der Votanten und ihrer Denkungsart über diese Sache selbst überzeugt, und die würdige für das allgemeine Wohl beeyferte Männer von den schläfrigen oder partheyischen Stimmführern unterscheiden kann. Ich könnte zwar verschiedene der ersten Gattung nennen, allein ich will es lieber darauf ankommen lassen, daß diese Männer durch ihre Geradheit sich selbst empfehlen. Ich könnte mich ja auch irren, weil ich etwa selbst übel berichtet worden wäre.

2.) an solche unpartheyische für das allgemeine Beste besorgte Männer wäre nun, an jeden besonders, und daß keiner von dem andern wüßte, ein Rescript des Inhalts zu erlassen, binnen 8 Tagen auf Eid und Pflicht und ohne Schonung irgend eines Menschen zu berichten

a.) woran es bisher gelegen, daß in den Ordens Untersuchungs Sachen so wenig ausgerichtet worden können?

b.) welche wirksamere Mittel zu ergreifen, um dem Uebel zu steuern?

c.) was ihnen besonders von dem sogenannten schwartzen Orden bekannt geworden, worin die Mitglieder sowohl an Studenten als andern etwa schon in Diensten angestellten Personen bestünden? wobey zu unterscheiden wäre, was sie mit Gewißheit wüßten, oder doch mit Wahrscheinlichkeit vermutheten, oder aber was nur auf einer Sage beruhe? Dabey wäre zugleich anzubefehlen, keinem Menschen und am wenigsten einem ihrer Kollegen von diesem Bericht und der Aufforderung dazu etwas zu sagen, wogegen ihnen auf das heilige Wort des Fürsten versichert werde, daß alles Einberichtete im strengsten Geheimniß behalten, ihr Nahme nicht genannt, und nach gemachtem Gebrauch ihr Bericht versiegelt im Archiv hingelegt, oder auch auf Verlangen das Original ihnen wieder zugestellt werden solle.

Wie nüzlich diese Art von Berichts Erforderung sey, dessen werden sich des Herrn Curatoris Excellenz noch erinnern, als vor ohngefähr 14. Jahren in der großen Tumults Sache die fürstl. Kommission aus dem sel. H. G. Rath Klipstein, dem damaligen Cons. Dir. von Zangen und mir bestehend, lange nicht fortkommen konnte, und endlich, als dieser Weg in damalig hiesiger Gegenwart gedacht Ew. Excellenz gewählt wurde, in kurzer Zeit alles Dunkele hell und klar erschien, und der Zweck durch die fürstl. Kommission nunmehr vollkommen erreicht werden konnte.

3.) Ist solchergestalt alles präpariert, so wäre nun ein fürstl. Kommissarius in der Stille zu ernennen, der die Nachforschungen heimlich fortsetzte. Um aber eine Zusammenkunft zu überraschen oder die Ordens Sachen in Geschwindigkeit wegzunehmen, ist nothwendig, daß so etwas der Kommission verrathen wird. Man muß also Spionen und dazu Geld haben. Solche Leute lassen sich vielleicht unter den Pedellen, dem Carcer Knecht oder andern Studenten Aufwärtern finden, und ihr Nahme muß immer verschwiegen bleiben.

4.) ist der Kommissarius soweit gekommen einen Fang thun zu können, so muß er eine gemessene Ordre an den General bereit haben, um die nöthige Mannschaft auf der Stelle zu erhalten. Nach neuer Verordnung kann der General nicht anders als auf ausdrücklichen Befehl Ser[enissi]mi Truppen hergeben; nur einzelne Wachen giebt er wohl in frangenti, wenn man ihm die Sache vorher umständlich detailirt. Daß alles das aber hier nicht angehen könne, ist leicht begreiflich, weil gewöhnlich vor der Ausführung alles bekannt wird. Es wäre also dem Commissario eine verschlossene Ordre des Inhalts zuzustellen: Nachdem Ser[enissi]mus ihrem Commissario N. N. die Ausführung einer gewissen Angelegenheit übertragen hätten, wozu über kurz oder lang Truppen nöthig seyn könnten, so hätte der General, sobald ihm diese Ordre überliefert würde, die nöthige Mannschaft nach Verlangen des Commissarii herzugeben, auch die weitere Veranstaltung bey der Garnison, die solcher nöthig finden sollte, sogleich vorzukehren. Denn es ist ja möglich, daß nun das Auflaufen und Tumultuiren der Studenten zu verhindern, wenigstens unschädlich zu machen, auch der Entfliehung der etwa Schuldigen vorzubeugen, allerley Sicherheits Anstalten an den Thoren und sonsten nöthig werden können.

5.) wird etwas wirklich ausgeführt, so wird alsdann die Sache öffentlich, und damit keine der hier so verschiedenen Behörden Ursache zur Beschwerde und vielleicht gar Vereitelung der so nothwendigen schleunigen Untersuchung finden möge, wäre der Commissarius anzuweisen, wenn der Fang bey einem Universitäts Verwandten geschiehet, alsdann ein Glied der juristen Fakultät mit dem Univers. Secretar., wenn bey einer militair Person, alsdann einen tüchtigen Officier mit dem Auditeur, wenn bey der Regierung, alsdann einen R. Rath und Reg. Secr. zuzuziehen.

Mehr bestimmte Anweisung läßt sich nicht wohl zum Voraus ertheilen, sondern alles weitere wird alsdann von den Umständen abhangen. Die Sache wird freylich langsam und weitläuftig tractirt werden müssen, das aber in dergleichen verborgenen Dingen nicht zu vermeiden ist. Es ist aber ein Gegenstand, der das Beste der Univ. wesentlich betrifft. Ohne daß dem schwartzen Orden nachdrücklich gesteuert wird, wird sie aller Bemühungen und Aufopferungen ohngeachtet nie zu einer großen Celebrität und Frequenz gelangen. Sie ist deshalb einmal verschrien, und ich allein weiß seit kurzem drey auswärtige angesehene Männer zu nennen, die bloß deswegen ihre Söhne nach Gießen zu senden Bedenken getragen.

Ohne ein Antwortschreiben Gatzerts abzuwarten, zog es Grolman nun vor, persönlich nach Darmstadt zu reisen und sich um eine Audienz beim Landgrafen zu bemühen. Gleichzeitig muß Grolman Gatzert um ein heimliches Zusammentreffen an einem fremden Ort gebeten haben, das dann auch tatsächlich im ersten Drittel des März 1792 in Frankfurt am Main stattfand. Für dieses konspirative Treffen mit Gatzert hatte er sich mit einem Bündel Briefen bewaffnet, deren Inhalt für den Minister von höchster Brisanz war, belegten sie doch die Vorbereitungen zu einem gegen Gatzert gerichteten Komplott, dessen Ziel es war, den Minister aus dem Amt zu verdrängen, wobei einer der Drahtzieher seine ehemalige illuminatische Verbindung mit Grolman dazu zu genutzt hatte, ein Aktenstück mit vermeintlichem Belastungsmaterial gegen Gatzert eingehändigt zu bekommen. Da es sich in diesem Zusammenhang um eine ganze Suite von Briefen handelte, muß man unterstellen, daß Grolman sich mehr in die Sache eingelassen hatte, als er dies in seinem Brief an Zimmermann vom 6. Oktober 1794 eingestand; dort liest sich die Darstellung der Begebenheit folgendermaßen:

Ein gewisser Mann der einen Groll gegen einen gewissen Minister hatte, von dem er irrig glaubte, daß er mein Freund seye, sezte sich in den Kopf diesen Minister zu stürzen, und verlangte von mir gewisse Data, erinnerte mich auch auf unsere ehemalige 44. [Illuminaten] Verbindung, in welcher ich wohl wußte, daß er gewesen, jedoch mit ihm darüber nie eine Zeile oder Wort gewechselt hatte. Ich konnte das nicht anders ansehen als daß eine 44. [Illuminaten] Verschwörung just den würdigsten Minister wegschaffen wolle, um einem 44. [Illuminaten] Plaz zu machen. Der Brief war ordentlich geschrieben, so daß ich ohne Verdacht eine nähere Entwickelung ausbitten konnte, die ich auch, um die eigentlichen Griefs [Vorwürfe], die man vermuthlich brauchen wollte, erkannte [sic]. Das Schicksal wollte, daß ich zwar mit dem Aktenstück, das man verlangte, dienen konnte, daß aber dieses Aktenstück, das ich auch wirklich mittheilte, vielmehr die Rechtschaffenheit des Ministers in ein helles Licht sezte. Nun bat ich mir eine heimliche Zusammenkunft von dem Minister aus, die auch in Frankfurt erfolgte, wobey ich ihm alles vorlegte, und das ganze 44er [Illuminaten] Unwesen mit Dokumenten erklärte. Dieses Ereigniß hat wahrscheinlich den 44. [Illuminaten] ohne daß sie wußten woher der Schlag kam, einen mächtigen Riegel vorgeschoben.70

Um seine eigene Frontstellung gegen illuminatische und aufklärerische Geheimgesellschaften unter Beweis zu stellen, legte Grolman während des Treffens mit Gatzert in Frankfurt diesem eine Reihe seiner gegen den Illuminatismus gerichteten Pamphlete vor. Über den Verlauf des konspirativen Gesprächs mit Gatzert liegt im Darmstädter Grolman-Nachlaß eine Disposition vor, die er zur eigenen Gesprächsstrukturierung und für seinen Freund und Mitwisser der Aktion Starck zur Kenntnisnahme aufgesetzt hatte. Aus diesem Gesprächskonzept wird deutlich, welche Schwierigkeiten es für Grolman machte, die lange Zurückhaltung seines Wissens um den gegen Gatzert geschmiedeten Komplott zu rechtfertigen:

Praemissis curialibus der alten Freundschaft erinnern

Hier seye nöthig blos als Freunde zu sprechen, und andere Verhältnisse jetzt bey Seite zu setzen.

1.) um sich untereinander recht zu verstehen und recht kennen zu lernen muß ein wenig ausgeholt werden. Daher vorerst

Ich hätte längst bemerkt, daß übelgesinnte Leute sich bemühet haben müssen, etwas zwischen uns beiden zu säen. Ich glaubte kein Vertrauen zu bemerken, u. endlich wurde mir sogar zuverlässig gesagt, daß er mich als einer der sich eindringen wolle betrachte, u. als gefährlich ansehe. Ich hätte daher auch geglaubt die Kälte Ser[enissi]mi in den lezten Monaten vor dem Reg[ierungs] Antritt seye seyn Werk.

[...]

Ich wäre einmal drauf u. dran gewesen, bey seinem lezten Hierseyn etwas davon u. den vielen Feinden, die er habe ihm zu sagen, wäre aber durch das Toben der Ritter über seinen Stoltz zurückgeschreckt worden. Von der Zeit hätte ich mir mehr als jemals vorgenommen mich sehr vorsichtig ganz neutral zu halten, u. an jeden Minister bey vorfallenden Geschäften nach deren Departements zu schreiben, doch würde er wohl bemerkt haben, daß ich gleichwol in den wichtigsten Anliegen mich an ihn gewendet habe.

[...]

2.) Cordate Darstellung meiner wahren Gesinnungen in Absicht auf eine Ministerstelle u. Widerlegung des Irrwahns von den Moserischen Zeiten her mit Klipstein

Refus den ich Moser gegeben mit Miltenberg in Wezlar

Refus den ich Ser[enissi]mo in Butzbach gegeben, u. particularia datos die damals Aufsehen gemacht.

Ursachen warum ich es für ein Unglück halten würde, wenn ich gezwungen würde, u. meine wahren Gesinnungen, auch was ich wünschen und hoffen kann.

3.) Entdeckung daß er Feinde habe.

Ursachen dieses Hasses - Stoltz und Nepotismus und Lotto. Anecdoten davon. Besetzung in allen Fächern durch Verwandte. Klagen, selbst von höheren Personen, auch angeblich von Ser[enissi]mo u. Ser[enissi]ma. Erwartungen der Ungnade bald dieses bald jenes

Stoltz in Collegiis, despotisches Betragen, contre coupes die Brade [Johann Jakob Brade, Regierungs-, Konsistorial- und Polizeirat in Darmstadt, Illuminatenname: Bion] u. Walbrun gemacht hätten, mit Urlauben, mit Sportuln pp.

Grober Bedienter wodurch etwas auf den Herrn fällt.

4.) Complott gegen ihn.

Entschuldigung dieser Entdeckung. Ich stehe in Gefahr als Denunciant angesehen zu werden, der Freunde, die sich auf ihn verlassen, verrathe. Es gereicht mir aber zu meiner Rechtfertigung, daß das Unternehmen an sich unrecht ist, es das Wohl eines älteren besseren Freundes betrift, u. das cor. publ. mich nöthiget.

Erzählung selbst, von dem angefangen was Bion [Brade] im Bade [in Bad Schwalbach] gesagt hat.

Dachte nicht weiter daran, u. hielte es nur für Wirkung eines unzufriedenen Menschen.

Allein nun die neue Geschichte, welcher das Illuminatenwesen vorausgehen muß -

5.) Nach Beendigung der privat Sache, neue causa publ. wegen der Orden und der Univers[itäts] Lesegesellschaft [Mainzer korrespondierende literarische Gesellschaft].71

Das schwere Geschütz, das Grolman mit der Entdeckung des angeblichen gegen Gatzert geschmiedeten Komplotts auffuhr, verfehlte seine Wirkung nicht, und in der Tat scheint es ihm gelungen zu sein, sich den Minister verbindlich zu machen, auch wenn es Gatzert nicht verborgen geblieben sein kann, daß er es nichtsdestoweniger mit einem gefährlichen, in allen Ränken erfahrenen Mann zu tun hatte, der sich ihm nur der Not gehorchend anvertraut hatte. So kann man auch Zweifel darüber hegen, daß er Grolmans Unterstellung für bare Münze nahm, daß die gegen Gatzert eingefädelte Intrige ein Werk der illuminatischen Weltverschwörung sei. Immerhin glaubte Grolman, diesen Eindruck bei Gatzert hinterlassen zu haben, was auch noch durch einen Brief bestärkt wurde, den Gatzert unmittelbar nach dem Frankfurter Treffen an Grolman nach Gießen abgehen ließ:

D[arm]st[a]dt d. 9 Merz 1792.72

Euer Hochwohlgebohren bringe ich nochmal für die mir gemachte vertrauliche Eröffnungen gehorsamsten Dank und werde Gelegenheit suchen, die mir dadurch bewährte Freundschaft und gehabte Mühe auf andere Art schuldigst zu erwiedern. Des schlimmen Wegs halber habe ich Sie herzlichst bedauert, hoffe indessen, daß Sie noch ruhig und glücklich wieder zurückgekommen seyen.

Bey näherer Überlegung finde ich indessen, daß ich wenigstens von den 13. Briefen diejenigen haben muß, in welchen mit dem Abdruck als Erzählung eines Reisenden gedrohet wird, wenn Euer Hochwohlgebohren Anstand finden sollte, mir mehrere oder die wichtigste zuzusenden. Ich werde schlechterdings keinen andern Gebrauch von dem Brief selbst machen als um die veritatem facti sogleich vollkommen aus Ueberzeugung darthun zu können. Gebe auch mein Wort, sie insgesamt oder jenen alleinigen sogleich zu remittiren, als dieses geschehen ist. Im Fall Sie wünschen, daß Ihrer hierbey gar nicht gedacht werde, bitte es mir nur gefälligst zu melden und hoc casi die an Sie gestellte Anrede entweder, wenn es ohne Nachtheil des Briefs geschehen kann, wegzuschneiden oder mittelst eines aufzuklebenden dichten Zettels so zu verkleistern, daß solche unlesbar wird. Mein Beweis soll blos unter 4 Bogen geschehen u. die nachherige Einleitungen sollen nur auf Schaden oder Sache gehen, viel weniger L[andgraf]. auch nur den entferntesten Anlaß zu argwöhnen darbiethen, daß Sie in der Mitte seyn möchten. Von dem besten Erfolg aber für Euer Hochwohlgeb. selbst würde es aber seyn, wenn Sie mir die ganze Suite der Briefe anvertrauen wollen, indem ich die Absicht habe, zugleich hernach den Uebergang zu dem allgemeinen Anliegen zu machen und unsre gemeinschaftliche Wünsche wegen der Geheimen Gesellschaften ans Herz zu legen. Was daher von den geschriebenen mir gezeigten Heften über die Grundsäzze der Erleuchteten zweckdienlich seyn dürfte, bitte mir ebenfalls aus. Vielleicht aber am unverdächtigsten durch Einschluß an den H[errn]. O[ber]h[o]fp[rediger]. St[arck].

Ich bestehe in innigster Hochachtung Euer Hochwohlgebohren gehorsamster Diener

Fr[eiherr von] Gatzert.

In der Zwischenzeit saß Starck in Darmstadt wie auf heißen Kohlen und erwartete sehnsuchtsvoll die Mitteilung Grolmans über den Ausgang des Unternehmens, in das er von Anfang an eingeweiht war. Dieser Brief hat sich nicht erhalten, doch geht aus dem Antwortschreiben Starcks, das sich im Darmstädter Grolman-Nachlaß befindet und vom 12. März 1792 datiert ist, hervor, daß Grolman Starck bereits von dem Wunsch Gatzerts um Überlassung der fraglichen Briefe hatte informieren können und seine ihn zurückhaltenden Bedenken darüber geäußert hatte, die Starck nun zu zerstreuen suchte:

Darmstadt. d. 12. Mart. 92.

Das ist mir herzlich lieb, mein trauter Freund, daß das Colloquium quaestionis so gut u. zu beyderseitiger Zufriedenheit abgelaufen u. Sie troz des Wetters u. Weges glücklich zurückgekommen. Ich kanns nicht läugnen, daß ich mit Sehnsucht auf Nachricht wartete, u. bald wäre ich, wenn ich nicht befürchtet hätte G[atzert] auf der Reise zu recontriren u. erkannt zu werden, zu ihnen nach Fr[ankfurt] geflogen, um mich selbst bey ihnen zu erkundigen: ich habe aber wohl gedacht, daß Sie mir nicht früher als gestern erst würden Auskunft geben können. Alles ist recht schön von Ihnen eingeleitet worden, u. wenn Sie sich den Mann nun nicht auf immer verbindlich gemacht haben, so muß er alles Gefühl verlohren haben, welches ich mir doch unmöglich von ihm überreden kann. Er hat wahrhaft gute Züge, thut wie ich sicher weiß ganz im Stillen vielen Armen große Wohlthaten. Ich schicke Ihnen hier Ihre Disposition u. den Brief zurück. Aber das Ansinnen das beweiset mir, daß der Mann seinen Mann noch gar nicht u. im gewissen Puncte am allerwenigsten kennt: u. aus dieser Ursache glaube ich, daß dieser Punct mit ungleich mehrer Circumspection als alle vorhergehende zu tractiren ist. Was erstlich den Brief oder die Briefe [angeht], die von Ihnen verlangt werden; so sehe ich freylich aber keinen Grund, warum selbige sollten verweigert werden, sie würden veritable facti evidenti offeriren, u. ohne solchen Beweis würde der ganze Vortrag in der causa privata wohl nur für Einbildung gehalten werden u. sich mit der Versicherung enden, daß man nichts zu bewegen habe, wobey aber doch der Unglaube hängen bliebe. Aber 1o. rathe ich nicht die ganze Suite von Briefen zu geben, sondern nur die evidentesten. 2o. muß es sub lege remissionarii geschehen. 3o. muß alles was auf Sie hinweist u. Sie argwöhnen könnte um Gottes willen davon entfernt seyn. 4. Auch Sie mein theuerster müssen sie dem bewußten Mann nicht schicken, sondern durch mich ihm geben lassen. Er muß überhaupt keine Sylbe von Ihnen aufzuzeigen haben, die auf die Sache einige Beziehung haben könnte. - Und was die Schriften der Erleuchteten betrift, so will ich selbigen das Prognosticon richtiger stellen als Nostradamus. Da sie gros sind, glaube ich am ersten, daß sie gar nicht gelesen werden, sondern daß man sie in den bewußten Schrank verschließt, wo Teufeleyen u. auch zu meinem Bedauern Wahrheiten liegen. In diesem Fall, der der wahrscheinlichste ist, hilft die ganze communication nichts, wir aber verliehren alles. Werden sie aber gelesen; so ist gewaltig die Frage wie sie wirken? Ob man nicht das Gefährliche übersieht, u. ob nicht gar durch den operiosen Vortrag man für die Sache die doch so viel Übels hat vortheilhaft eingenommen wird. Das wäre noch zehnmahl ärger u. dies ist mir um so viel wahrscheinlicher, da ein F[...] in der Nähe ist, der von allem Nachricht erhält, die gespanntesten Sachen liebt, sich wohl ehedem gegen mich sehr zum Vortheil dieser Sache erklärt u. die verificirtesten Facta für Verläumdung ausgeschrieen hat. Hiezu kommt noch, daß noch in diesen Monathen jemand erwartet wird der dieser Parthey sehr ergeben ist, u. als ein wahrer Decanus Fac[ultatis] Philosoph[iae] sie vertheidigt, der auch mit jenem Mensch, wie wir aus allen Geschichten von der [...gegend?] wissen u. dem Aenaeas zusammenhängt. Ein anderes ist es wenn ein kurzer Auszug der die gefährlichen Staaten u. Religion untergrabenden Grundsezze enthält, so daß sie auf einen Blick übersehen werden kurz gegeben wird. Aber, eben der Auszug muß durchaus nicht von Ihrer Hand seyn u. Sie ihn auch nicht schicken, auch in keinem Briefe dessen erwähnen, damit man durchaus nicht auf Sie komme, wo es denn auch nicht an Gelegenheit fehlen wird auf mich zu kommen, u. so wird man uns beyden allerley Ungemach zu machen suchen. Ich glaube wohl, daß Bayard [Christian Wilhelm von dem Bussche], mit welchem Dr. Pries jetzt ein Kopf u. ein Schwanz ist, sich wenn er sich nur um eine kurze Zeit entfernte nicht sich reteniren wird, u. er brockt allenthalben so viel ein, daß seine Existenz nicht von Dauer seyn kann: aber so lange er noch gegenwärtig ist, hält er sich noch, u. denn wird er alles anwenden was zu unterdrücken u. die Gefährlichkeit der Sache auszureden im Stande ist, u. man wird über die herfallen, die dem Minister solches angegeben oder es angegeben zu haben subponirt werden. Hiernach richten Sie nun ihre mesures ein, wenn Sie anders meinen Rath gratuiren. Kommen die Sachen an mich zur Übergabe, so kann ich ja noch das Terrain wegen der Sicherheit vorher sondiren u. mir die nöthige Versprechung darüber geben lassen.

Zu der Dose meinen herzlichen Glückwunsch: hat mich ungemein gefreut. Buris Sottisen Erwiedere ich. Gott welch ein dummer Mensch! Er muß gewis verrückt seyn.

Die Bücher in der Leipziger Auction werden überzahlt. Den Wett[...] kann ich noch alle Tage von Leuchtmans in Leyden für 20 fl. Holländisch haben.

So viel für heute, um nur das dringendste gleich zu beantworten. Mit Herz u. Hand ewig

der Ihrigste Starck.73

Auch die freundschaftlichste Empfehlung Starcks, Grolman möge Gatzert die gewünschten Briefe unter den beschriebenen Vorsichtsmaßregeln getrost mitteilen, ließ an der Tatsache nicht zu deuteln übrig, daß das Schreiben Gatzerts vom 8. März 1792 Grolman erneut in Schwierigkeiten gebracht hatte, denn auch die anonyme Verwendung des Materials durch Gatzert hätte nicht verhindert, daß der Verfasser der Briefe, ein ehemaliger Göttinger Universitätsfreund Grolmans, ihn sofort als den verräterischen Denunzianten erkannt haben würde. Kein Wunder also, daß es Grolman lieber gewesen wäre, man hätte gleichsam mit einem gewaltigen Paukenschlag den angeblichen illuminatischen Machenschaften ein Ende bereitet und so die Sache aus der Welt geschafft, ohne die persönliche Verflechtung seiner Person in die Angelegenheit aufzurollen. Daß Gatzert nun aber bereit schien, seine individuelle Integrität unter Verwendung des Grolmanschen Materials wiederherstellen zu wollen, barg für den Gießener Regierungsdirektor die Gefahr in sich, daß er als Bauernopfer hätte gebraucht werden können. Auf der anderen Seite gab es keinen denkbaren Vorbehalt mehr, der Grolman die Zurückhaltung der Briefe erlaubt hätte, ohne sich den Minister zum Feind zu machen. Das einzige, was er noch erbitten konnte, war die absolute Geheimhaltung des Materials gegenüber jeder Person mit Ausnahme des Landgrafen und die Nennung seines Namens gegenüber dem Landgrafen nur im äußersten Notfall. Bezeichnender Weise begründete Grolman die Bitte um absolute Geheimhaltung seiner Identität in der Angelegenheit damit, daß die unmittelbare Umgebung des Landgrafen mit hoher Wahrscheinlichkeit von Mitgliedern des illuminatischen Geheimbundes durchsetzt sei und daß sogar Grund zu der Annahme bestehe, der Landgraf selbst sei in das System der Illuminaten verflochten. Grolman habe während der viel zu kurzen Audienz beim Landgrafen gar nicht alle die Punkte vorbringen können, welche die Dringlichkeit der Materie erfordert hätte. Insbesondere habe er es versäumt, die seinerzeitigen Absichten des Illuminatenordens, über Grolman den Landgrafen für den Orden zu gewinnen, dem Landgrafen zu eröffnen. Daß er sich damals aber geweigert habe, dem Ansinnen des Ordens nachzukommen, heiße jedoch noch nicht, daß dies nicht von einem anderen Illuminaten in Darmstadt geschehen sein könnte. Mit diesem Argument glaubte Grolman, eine letzte Trumpfkarte gezogen zu haben, jedoch sind es vermutlich diese Ausführungen, die später im entscheidenden Moment gegen ihn ausgespielt wurden und die dem ganzen Spuk seiner Jakobinerriecherei ein Ende bereiten sollten:

G[ießen]. d. 14. Mart. 1792.74

Ew. Rfrhl. Excellenz werden mir güthigst verzeihen, daß ich nicht auf der Stelle das Verehrliche vom 9ten dieses beantwortet, u. dem darin enthaltenen Verlangen ein Genüge geleistet habe. Die Sache ist von so großer Wichtigkeit für mich selbst u. für das gemeine Beste; und hat daher so viel scharfe Seiten, daß ich mich unmöglich auf der Stelle entschließen konnte. Ich dachte , mein Plan hätte Beyfall gefunden, den ich bisher für den besten gehalten, und der dahin gehet, in causa privata nur per indirectum zu agiren, und Bions [Brades] cum suis Vorhaben Ser[enissi]mo nicht zu entdecken, sondern alles was dahin gehört vor jedermann geheim zu halten, dahin gehend in causa publica bey Ser[enissi]mo öffentlich zu handeln, Ihnen die Schelmenstreiche, welche die Ill. vorhaben, zu entdecken, Sie deshalb recht en fait zu setzen, die höchst wahrscheinliche Connexion mit den Lesegesellschaften u. Studenten Orden zu zeigen, und sogleich zu veranlassen, daß durch scharfe ausgiebige Verordnungen jenen Schelmenstreichen ein Damm entgegengesezt werde, wodurch zugleich die böse Absicht, die man in causa privata hat, per indirectum vereitelt wird. Auser dem Vortheil, den dieser Plan gewährte, daß Ser[enissi]mus nicht auf den sonst so leicht möglichen Gedanken verfallen: der Mann agirt aus Rache, aus Furcht und eigenem Interesse seiner Selbsterhaltung; entstehet die Frage, die ich ohne Verletzung der schuldigen Ehrfurcht aufzuwerfen getraue: Können Höchstsie bewogen werden, das was unter 4. Augen gesprochen und anvertrauet wird, ganz geheim zu halten, und keinem andern Vertrauten in einer Stunde der Hertzergießung etwas davon zu sagen? Ich würde vielleicht auf diese Frage weniger verfallen, wenn nicht zwey Umstände mir die Möglichkeit darlegten, es könne seyn, daß Ser[enissi]mus selbst von den Ill. wo nicht in ihr System wirklich verflochten doch davon besser zu denken bewogen worden seyen. Ich beklage hierbey, daß er nämlich Zeit und Gelegenheit nicht hatte, eine nochmalige Unterredung zu halten. Tausend Dinge sind mir eingefallen, deren Ueberlegung die an sich zwar lange, doch für die reichhaltige Materie noch immer viel zu kurze Konferenz nicht verstatteten. Jene beide Umstände aber sind folgende

1.) Als ich noch Ill. war, forderte man auser der Anrichtung einer Minerval Kirche auch das von mir, daß ich den damaligen Erbprintzen, weil man Ihn über den gewönlichen Schlag der Fürsten Kinder aufgeklärt hielte, dem Orden verschaffen solle, um dann unter solchem Schutz ein recht Illum. Nest und Zufluchtsort im Lande anlegen zu können. Ich glaube noch einen Brief unter meinen Papieren finden zu können, der davon handelt. Ich habe aber diesem Verlangen eben so wenig, wie dem um Anrichtung einer Minerval Kirche Folge geleistet, und Ser[enissi]mus selbsten werden sagen, daß ich deshalb weder mündlich noch schriftlich jemals nur ein Wort geäußert hätte. Ich entschuldigte mich immer damit, daß ich zu wenig Gelegenheit und nicht Ansehen genug hätte, u. verwies die Herren an den Dr. Starck, von dem ich aber wußte, daß er selbst, wie doch erstlich geschehen mußte, und wirklich tentiert worden ist, sich niemals bewegen lassen würde. Das ist also wohl klar am Tage, daß man eine Connexion gesucht hat, um den Herrn zu gewinnen. Nun giebt es aber Ill. in D. und was ich verweigerte, können ja andere gethan haben, nemlich dem Herrn wenigstens eine favorable Idee von den Ill. beygebracht haben.

2.) ist sehr auffallend, daß Bode von Weimar, der seinen eigenen Herrn dem Illuminatismus zuführte, einer der ersten sogenannten Väter des O. ist, und hauptsächlich an dem sogenannten verbesserten Ill. nach Weishaupts Flucht aus Bayern gearbeitet hat, auf einmal. ohne daß man weiß wie, fürstl. Geheimrath geworden ist; daß dieser Mann lange in D. bey einem andern bekannten Ill. logirte, wie man sagte, mit demselben arbeite, und sogar auf 6. Monathe ein Miethhaus suchte; daß so viel fremde Menschen auf einmal, wie vom Himmel gefallen, in unsern Diensten erschienen p.p. Transpirirt aber nun etwas im Publikum, so leidet die gute Sache darunter, u. ich gerathe in das größte Labyrinth. Die gute Sache leidet, denn alsdann wird man auf alle vorhabende gute und nöthige Anordnungen den Verdacht von Rache und Despotismus werfen, sie entweder ganz hintertreiben, oder doch unwirksam machen. Mich aber wird man auf das abscheulichste verschreyen und verfolgen, u. das Publikum, das die Gründe nicht weiß, nach denen ich gehandelt habe, , u. die sich dahin concentriren, daß mich, auser der alten Freundschaft hauptsächlich Pflicht und Gewissen aufforderten einen anderen Freund zu verrathen und mich als Denunzianten darzustellen. Dieses gewönlich lieblose Publikum wird meinen Nahmen stinkend machen, da ich zumal in der Lage bin den Hauptgrund meiner Handlung: zu verhindern, daß es der Rotte nicht gelinge Ew. Exzellenz aus dem Ministerio wegzubuchstabiren, weil ich sonst den Staat für verloren achte, öffentlich oder privatim nicht angeben und gehörig vertheidigen zu können.

Daß aber Bion [Brade]auf mich, und auf keinen andern, verfallen wird und muß, sobald nur von einem entdeckten Briefe die Rede ist, das ist wohl nicht dem mindesten Zweifel unterworfen, da er mit keinem andern in den terminis korrespondiert haben kann, und was die Herren unter sich verhandeln, gewiß nur mündlich geschieht.

Doch da Ew. es so bestimmt verlangen, und es gewiß nur nach vorgängiger reifer Ueberlegung verlangen, was soll ich da thun? In der Hofnung, daß Ew. einen Mann nicht sacrificiren werden, der zu dem Schritt, den er that, dadurch bewogen wurde, weil er Sie selbst dem Staat erhalten wollte, und zu dem Ende von den Gängen ihrer Feinde benachrichtigte;

in dem Vertrauen, daß Sie um so viel mehr dazu bewogen werden, da ich voraussetzen kann, daß Sie bey unserer Konferenz hinlänglich werden überzeugt worden seyn, daß ich gar keine privat Absicht zu meinem eigenen Vortheil dabey habe und haben kann, sondern daß ich nur aus Drang meiner Pflicht handelte; demnächst aber auch in der Hofnung, daß Ser[enissi]mus, wenn meinen Nahmen zu entdecken am Ende nöthig seyn sollte, bewogen werden können, den edlen Trieb der in ihrer erhabenen Seele ruhet -. Einen treuen Diener den ein dem Staat und dem Fürsten nachtheiliges Geheimnis pflichtmäßig entdecket, nicht zu kompromittieren, und der Rotte Preiß zu geben, die unversöhnlich hasset, ohne Beyspiel verfolget, u. dazu leider heimliche Macht und Gewalt genug in Händen hat, auch auf mich anwenden und durch das Gegentheil mich nicht auser Stand sehen werden, an meinem dazu ganz geeigneten Posten unentdeckt fernerhin in der Stille gegen diejenige zu wirken und zu wachen, welche erstlich die Religion, die Hauptstütze der Thronen vertilgen und dann die Thronen selbst umstürzen und die Fürsten gleichsam in Ketten schmieden wollen;

Durch alle diese Vermuthungen getröstet und aufgemuntert gebe ich denn die Papiere hin, die Ew. verlangen, überlasse dero Einsicht den vorsichtigen Gebrauch, unter Verschweigung meines Nahmens durchaus bey Jedermann, u. solange es möglich ist auch bey Ser[enissi]mo selbst, und erbitte sie mir nur wieder zurück, wenn der Gebrauch davon gemacht worden ist. Da ich aber nicht wissen kann, ob die historischen Umstände von ihrer Entstehung noch ganz richtig erinnerlich seyn werden; so bin ich genöthiget, solche hier nochmals schriftlich zu wiederholen.

Bion [Brade], der ein alter U[niversitäts]. Bekannter von mir ist, und von je her viel auf mich zu halten schien, gab mir vor einigen Jahren im Bade zu Schwalbach diejenige Ministerial Akten in Abschrift zu lesen, nach welchen H. R[egierungs]Rath Strecker wieder in hiesige Dienste zurückberufen worden war. So viel ich mich noch erinnere, waren gehässige Anmerkungen dazu gemacht, und unter anderm solte ein von mir ausgestelltes Attest über seinen Inhalt mißbraucht worden seyn. Mich rührte die Sache um so weniger, da ich eigentlich der Mann zu seyn glaubte, der nach einer mit Ew. ein Jahr vorher vorgehabten Unterredung die erste Idee zur Zurückberufung gegeben hatte, und weil ich überzeugt war, daß durch die erfolgte Zurückberufung, es möge damit vorgegangen seyn, wie es immer wolle, kein dem Staate lästiger sondern ein geschickter, brauchbarer und ehrlicher Diener, der zugleich Unterthan war, erhalten worden war. Ich gab nun diese Dinge nach kurzer Durchlesung wieder zurück.

In den folgenden Jahren, wo ich Bion [Brade] wieder in Schwalbach getroffen, fiel nichts Merkwürdiges vor, als daß er eine Menge blos Darmstadiana enthaltende Anekdoten erzählte, die mich weiter nicht interessirten.

Soviel war Grolman inzwischen deutlich geworden, daß er seine persönlichen Interessen nicht mehr allein im Verein mit Gatzerts weiterem Vorgehen in der Angelegenheit wahren konnte, sondern daß er weitere flankierende Maßnahmen in Angriff nehmen mußte, wenn er heil aus der Sache herauskommen wollte.

2.5. Jakobinerriecherei, Zensurprozesse und Untersuchungskommissionen gegen mißliebige Universitätsangehörige

Da Gatzert nicht gewillt war, den von Grolman gewünschten Weg des großen Paukenschlags gegen das illuminatische Geheimwesen zu beschreiten, suchte Grolman nach anderen Möglichkeiten, diesen in Szene zu setzen. Damit betrat er ein Gelände, auf dem es ihm zumindest vorübergehend gelang, festeren Boden unter die Füße zu bekommen als auf dem schlüpfrigen Pfad, auf den er sich mit seiner Denunziation des "Schwarzen Ordens" bei Gatzert gewagt hatte. Sein erster ermutigender Erfolg war die Erwirkung der für die Betroffenen folgenreiche Verordnung gegen die Revolutionspropaganda vom 20. April 1792.75 In einem den 11.4.1792 datierten Bericht der Gießener Regierung an den Landgrafen in Darmstadt hatte Grolman seine Besorgnis darüber geäußert, daß das deutsche Publikum mit "so vielen aufrührerischen Freiheitsschwindel verbreitenden Schriften überschwemmt worden" sei, "die reißend in Umlauf kommen und, wenn sie in die Hände des gemeinen Mannes fallen, allerlei Verwirrungen, böse Eindrücke und Widerwillen gegen Landesherren, Obrigkeit und ganze Verfassung verursachen".76 Die vom Landgrafen erlassene Verordnung verbot den Verkauf und das Debattieren von Aufruhr erregenden Druckschriften, was vor allem für Bauern und gemeine Bürgersleute galt, während man von dem aufgeklärten Teil der hessen-darmstädtischen Untertanen ausdrücklich erwartete, daß dergleichen Broschüren auf sie keinen Eindruck machen würden. In weiteren Anordnungen wurde diese Bestimmung Ende April und Anfang Mai dann für die landgräflichen Beamten insofern verschärft, als auch sie an keinen staatsgefährdenden politischen Unterhaltungen und Zusammenkünften mehr teilnehmen durften und ihnen die Mitgliedschaft in Orden und geheimen Gesellschaften untersagt wurde. Eine zeitlich wie inhaltlich parallele landesherrliche Initiative zur Restriktion der Revolutionspropaganda betraf die Landesuniversität in Gießen. Ebenfalls unter dem Datum vom 20. April 1792 erging ein landgräfliches Reskript an die Universitätsbehörde, das an der Verschärfung des politischen Klimas in der oberhessischen Provinzhauptstadt keinen Zweifel ließ:

Da seit einiger Zeit manche aufrührerische Schriften in das teutsche Publicum in der boshaften Absicht verbreitet werden, um durch einen betrüglich eingekleideten einnehmenden Vortrag bey dem gemeinen Mann nachtheilige Eindrücke und gefährliche Folgen zu bewirken; so haben Wir, zur Abwendung solcher Übel und zur Erhaltung des Ruhestandes in Unseren Landen, nach Unserer Regentenpflicht und Gemäßheit [...] Uns bewogen gefunden, alle dergleichen Unruhe und Aufruhr erregende Zeitschriften und Broschüren, worunter sich die Straßburger Zeitungen vorzüglich auszeichnen, [...] zu verbieten.77

Das Reskript fordert auch expressis verbis die Universitätsbehörde auf, die in Gießen ansässigen Buchhändler und Buchdrucker "in der Stille und mit der Auflage solches zu verschweigen" über den Wortlaut der ergangenen Verordnung zu unterrichten. Der Universitätssekretär war daraufhin genötigt, eine entsprechende Mitteilung an den Gießener Verleger und Buchhändler Krieger nach Leipzig, wohin dieser bereits abgereist war, nachzusenden und ihn zu ermahnen, keine aufrührerischen Schriften öffentlich anzuzeigen, zu erwerben oder in den Verlag zu nehmen.78

Mit den zu einem guten Teil auf Grolmans Initiative zurückgehenden fürstlichen Verordnungen hatte sich der Gießener Regierungsdirektor einen Handlungsspielraum eröffnet, innerhalb dessen er seine Loyalität gegenüber dem Landgrafen und der Regierung in Darmstadt tatkräftig unter Beweis stellen konnte.

Was folgte war eine Serie von Denunziationen, die Grolman zu verantworten hatte und die innerhalb kürzester Zeit zur Einleitung von Untersuchungsprozessen führten, und sofern die betroffenen Personen unter die Zuständigkeit seiner eigenen Behörde fielen, inquirierte Grolman auch unter eigener Regie. Keine zwei Wochen nach der Bekanntmachung des Fürstlichen Edikts wandte sich Grolman an den Geheimen Rat von Lehmann als Vorsitzenden des Konsistoriums in Darmstadt mit der Mitteilung von der Existenz eines Zweiges des ihm verdächtig erscheinenden Mainzer korrespondierenden litterarischen Zirkels in Gießen und gab gleich nebenbei zu bekunden, daß er gegen einige Butzbacher Schullehrer wegen Verbreitung staatsfeindlicher Grundsätze vorgegangen sei:

G[ießen]. d. 2. May 1792.79

Ew. Rfrhl. Excellenz, erlauben hochgeneigtest, daß ich mich in einer Art von Verlegenheit an Hochdieselben wende, die größtentheils u. hauptsächlich das hiesige Consistorium betrift, u. also auch als Präsidenten des dortigen Fürstl. Consist. wahrscheinlich in Dero Referat einschlagen wird. Das wegen der Orden u. geheimen Gesellschaften erlassene höchste Rescript befiehlt unter anderm, daß wir über der Befolgung genauest wachen sollen, u. sezt fest, daß derjenige, der von einer solchen einschleichenden Verbindung etwas erfährt, u. es nicht anzeigt, cassirt werden solle. Jedem ohnehin treuen Diener muß diese ernstliche Drohung in doppelte Thätigkeit versetzen.

Seit nicht gar langer Zeit existirt hier eine Branche eines sogenannten Correspondirenden Litterarischen Zirkels in Maintz, wozu hauptsächlich einige hiesige Professoren gehören, das also insoweit uns nichts angehen würde, da vermuthlich jenes fürstl. Rescript auch an die Universität erlassen worden seyn wird. Diese Branche der Maintzer Gesellschaft hat sich auch in unserer Landzeitung öffentlich bekannt gemacht, und sie ist also in der Hinsicht für keine geheime Gesellschaft zu halten.

Es kann auch seyn, daß das äußere Institut dieser Litterarischen Gesellschaft an sich selbst betrachtet, nichts Verdächtiges an sich trage, und daß insbesondere die hiesigen Mitglieder unbefangen u. ganz unschuldig dabey zu Wercke gehen. Es ist aber nicht nur dahier die fast allgemeine Vermuthung, daß noch etwas geheimes hinter dieser Anstalt stecken müsse, sondern es ist auch bekannt, daß dieser litterarische Zirkel in Maintz, weil die Illuminaten dahinter stecken sollten, und er mit einer ähnlichen Gesellschaft in Straßburg in Verbindung stehet, die Aufmerksamkeit des H. Kurfürsten auf sich gezogen, und eine Art von Untersuchung veranlasset hat, deren Ausgang oder Anlaß der Abwendung mir nicht bekannt ist, das aber nachher in Maintz schon die Folge gehabt haben soll, daß die dortigen Glieder sich in zwey Theile getrennt haben.

Daß aber die Illuminaten sich auch hinter litterarische öffentliche Anstalten heimlich stecken, theils um ihre Grundsätze in der Stille zu verbreiten, theils um die fähigsten ihrer Anleitung empfänglichsten Köpfe auszuheben, u. sonach die litterarische öffentliche Gesellschaft als eine Pepinière ihres geheimen Ordens benutzen, das ist aus ihren eigenen theils gedruckten, theils in vielen Händen schriftlich befindlichen Statuten gar keinem Zweifel ausgesezt sondern erwiesen. Es ist zwar nicht zu läugnen, daß es Menschen genug giebt, die sobald so etwas angezeigt wird oder sonst ins Publikum kömmt, mit großem Geschrey alles das für Lüge und Verläumdung erklären, oder durch allerley Künste den wahren Gesichtspunkt zu verrücken wissen. Ich glaube aber jeder ruhige Beurtheiler wird im Ernst den Satz nicht bestreiten wollen und können, daß jede Gesellschaft am sichersten u. besten aus ihren Statuten zu beurtheilen sey. Daß aber die Illuminaten eben nach ihren Statuten und Absichten zu dergleichen geheimen Gesellschaften gehören, welche das mehrgedachte fürstl. Rescript verbietet, daran kann ich nicht zweifeln.

Außer dem Reg. Rath u. Amtmann v. Zangen zu Langgönß gehören nun auch zwey Pfarrer zu dem Mainzer korrespondirenden litterarischen Zirkel, nemlich der hiesige katholische Pfarrer Prof. Schalck und der lutherische Pfarrer zu Dexbach Amts Biedenkopf, Schwartz, und soweit gehet die Sache das hiesige Konsistorium an. Wenn geheime Verbindungen, geheime Gesellschaften entdeckt werden sollen, so kann man nicht gleich mit apodictischen Beweisen auftreten. Allein wenn so laut von einer Sache, wie von der Mainzer Gesellschaft gesprochen wird, so mögte es als ein Fehler ausgelegt werden, wenn wir ganz dazu schwiegen. Bey Ew. Rfrhl. Excellenz frage ich demnach u[nter]th[äni]g an, ob das Konsistorium wegen dieser Pfarrer Anzeige thun solle, wobey ich auch Dero erlauchtetem Gutbefinden überlasse, ob allenfalls dieser Brief statt einer Veranlassung der zu nehmenden Maasregeln dienen könne, wobey ich nur dieses bemerke, daß mir nicht bekannt ist, ob die hiesige Branche der Mainzer Gesellschaft zu ihrer förmlichen Errichtung etwa eine höhere Erlaubnis, wie doch wohl seyn sollte, extrahirt habe, oder nicht.

Wir leben in so bedencklichen Zeiten, daß das Principiis obsta vero medicina paratur, niemals mehr Anwendung verdient hat, als eben jetzt. Das Mal francois fürchte ich macht in Deutschland eben durch geheime Verbindungen, mehr Fortschritte, als man wohl glauben mag. Auch in unserm Lande giebt es in allen Ständen erklärte Anbeter der Französischen Revolution u. der zu Grunde liegenden Freyheits Prinzipien; und eine leichte Gährung ist auch in den niedern Volcksklassen zu spüren. Von jeder kleinen Aeußerung Anlaß zu Untersuchungen zu nehmen, würde zweckverfehlend und schädlich seyn. Allein da einige Schullehrer in Butzbach zu Fürstl. Verordnungen die vorherige nöthige Einwilligung der Bürger öffentlich behaupten, und den Kindern den rohen ganz unbestimmten Satz lehren sollen, daß einer ungerechten oder unklugen Verordnung des Landesherrn man keine Folge zu leisten schuldig sey, diese Menschen auch ohnehin seit einiger Zeit störrisch und widerspenstig zu werden anfangen; so hat man sich genöthiget gesehen darüber ganz in der Stille eine Untersuchung anstellen zu lassen, wovon wir wohl bald das Resultat u[nter]th[äni]gst einzuberichten werden im Stande seyn.

[Nachschrift:]

Ew. Rfrhl. Excellenz, darf ich noch einen besonderen Umstand nicht verheelen. Der schwartze Orden ist eigentlich ehemals in Erlangen entstanden, u. war damals, so wenig wie die anderen Studenten Orden von nachtheiliger Bedeutung für den Staat. Nur erstl. in neueren Zeiten ist er durch andere gefährlich geworden. Ehemals ist nun, wie mir zuverlässig versichert worden ist, auch H. Geh. Archivarius Strecker zu Erlangen zu diesem Orden gezogen worden. Ich bin aber auch überzeugt, daß er schon lange her gar keine Gemeinschaft mehr mit demselben hat. Wenn aber derselbe nun etwa bey diesem Geschäfte auf irgend eine Art gebraucht werden sollte, und es würde etwas verrathen, auch etwa bekannt, daß er zu dem Orden gehört habe; so könnte solches ihm wohl Verdruß und Schaden bringen, u. es möchte blos in dieser Rücksicht besser seyn, ihn von diesem Geschäfte ganz entfernt zu halten. Blos um einen vollkommen rechtschaffenen und ehrlichen Mann, wofür ich den Herrn Geh. Arch. kenne und halte, für ohnverschuldetem Nachtheil zu bewahren, mache ich Ew. Rfrhl. Excellenz diese wenigstens gutgemeynte Entdeckung.

Das Antwortschreiben des Konsistorialdirektors von Lehmann ist den 4. Mai 1792 datiert, erfolgte also postwendend. Darin wurde Grolman versichert, daß seine Anzeige zurecht erfolgt sei, zumal der Mainzer korrespondierende literarische Zirkel in der Tat nicht um eine förmliche Erlaubnis für seine Errichtung nachgesucht habe. Obwohl die Angelegenheit nicht unmittelbar in seinen Zuständigkeitsbereich falle, habe er dem Landgrafen mündlichen Bericht über Grolmans Anzeige erstattet. Es sei dem Landgrafen durchaus bekannt gewesen, daß der Mainzer Kurfürst bereits eine Untersuchung angeordnet habe, deren Ergebnis man in Darmstadt abwarten wolle, woraus sich vielleicht ein weiteres ergeben werde.80 Im übrigen glaube der Konsistorialdirektor, "daß man zu Gießen über die Geheimen Geseze der besagten Gesellschaft gar leicht mehrere Aufschlüsse haben könnte", eine Bemerkung, die Grolman als Aufforderung zu weiteren Ausforschungen verstehen mußte. Die neuesten Verschärfungen der fürstlichen Anordnungen machten überdies deutlich, so fuhr der Konsistorialdirektor fort, daß man in Darmstadt auf die kleinen Anzeigen von Gärungen nicht ohne Aufmerksamkeit geblieben sei, und insbesondere erwarte der Landgraf von Grolman, daß er die Untersuchungen gegen die Butzbacher Schullehrer81 mit allem Ernst und ohne eine Minute damit zu zaudern vorantreibe.

Einer der spektakulärsten Fälle im Gefolge der Grolmanschen Denunziationen war der Zensurprozeß gegen den Ingenieurhauptmann und Professor der Fortifikation und Kriegswissenschaften Georg Friedrich Werner, Vertreter der philosophischen Aufklärung, der just zu dem Zeitpunkt, da die landgräfliche Verfügung wegen der aufrührerischen Schriften publiziert worden war, eine Schrift mit dem Titel 'Versuch einer allgemeinen Aetiologie 'auf den Markt brachte, die ein auf materialistischen und atheistischen Grundsätzen beruhendes neues philosophisches System beinhaltete.82 Grolman brauchte auch nicht lange zu suchen, um einige zur Denunziation verwertbare Stellen im Vorwort der Schrift ausfindig zu machen. Um nicht in Verdacht zu geraten, er könne bei der Angelegenheit ein persönliches Interesse im Auge haben, und um den Anschein von höchster Wichtigkeit und Dringlichkeit zu erwecken, ließ er das von ihm verantwortete Denunziationsschreiben83 von der gesamten versammelten Gießener Provinzialregierung unterzeichnen, bevor es kaum vier Wochen nach der Publikation des von Grolman mittelbar erwirkten landgräflichen Edikts zur Verfolgung staatsgefährdender Schriften nach Darmstadt abging:

Fürstlicher Regierung zu Gießen Unterthänigster Bericht. Eine bedenkliche Stelle in des Professor Werners Ätiologie betrefend. Gießen, d. 19. Mai 1792.

In der Einleitung dießes vor etwa 14. Tagen in den hiesigen Buchläden erschienenen und von Kriegern verlegten Buchs, bey Gelegenheit, wo der Verfasser sagt, daß er ein gantz neues System der Philosophie der Welt vorlege, kündigt er Seite XXXVII. nicht nur an, er wolle im dritten Buch seiner Schrift dereinst darthun, "daß die Grundpfeiler der höchsten Sittlichkeit und Glückseligkeit der Menschen und der Staaten, gantz allein im Gebiete der Natur und der Vernunft liegen", schließt also die geoffenbarte Religion bey Sittlichkeit, Menschen- und Staatenwohl schon zum voraus gantz aus; wobey er es denn wohl in so lange gar wohl hätte bewenden lassen können, biß denn erstlich das dritte Buch seines Werks erschienen - und der Beweis geführt worden wäre.

Allein gantz ohne Noth beschwört er schon jetzt die Fürsten, der Beleuchtung und Untersuchung der Systeme keine Hinderniß in den Weeg zu legen, kramt dabey die jetzt so häufig bey Französierenden Schriftstellern, welche die Fürsten einschläfern wollen, vorkommende Gemeinstellen aus, zum Exempel, daß ein aufgeklärter Biedermann, ein guter Unterthan seyn müsse p.p. und bringt denn hauptsächlich Seite XXXVII.I. und XXXIX. folgende auffallende Stelle vor -

"Die Klagen des Biedermanns und seine Kraft können nur gegen schlechte Fürsten gerichtet seyn, oder gegen solche Menschen, die es wagen, gute Fürsten zu mißleiten, zu belügen, der Wahrheit den Zutritt zu versperren, um unter mißbrauchter höherer Autoritaet - selbst zu despotisiren, und schändlichem Egoismus zu fröhnen.

Gegen solche böße Fürsten, gegen solche gefährliche Gleißner, so wie gegen alle Art von Unwahrheit und Vorurtheile - sey es auch hinter tausend jährige Altäre des Herkommens verschantzt! - kurtz gegen alles, was dem Glück der Menschheit im Eintzeln oder im Allgemeinen entgegen strebt, will ich denn auch meine Kräfte, biß auf den letzten Lebenshauch, verwenden."

Ohne alle Consequenzenmacherey folgt aus den eigenen sehr deutlichen Worten des Verfassers, daß wenn sein eigener Landes-Fürst seinem System nicht beytretten, oder das alte System begünstigen, schätzen würde, er der Ingenieur Hauptmann und Professor Werner gegen seinen eigenen Fürsten und Landesherrn seine Kräfte, biß auf den letzten Lebenshauch, verwenden werde.

Freylich haben bißher die neuen Aufklärer keine Mittel verschmähet, ihre Meynungen in den Gang zu bringen. Aber so energisch und gewaltsam hat wohl noch keiner sein System, das er gleichwohl noch nicht gantz gebohren hat, aufzudringen gesucht, daß er mit einer vorläufigen Kriegserklärung gegen alle Andersdenkende debütirt.

Diese Stelle macht allgemeines Aufsehen in hießiger Stadt, und der gemeine Mann spricht sogar davon. Wäre eine Censur bey uns etablirt, so würde sie ohne Zweifel ausgestrichen worden seyn. In einer deutschen Schrift eines öffentlichen Lehrers auf der Landes Universitaet vorgetragen, und noch dazu einem Durchlauchtigsten Printzen des Hochfürstlichen Haußes dedicirt, müssen wir dafürhalten, daß sie schädliche Folgen nach sich ziehen könne, und dies veranlaßt uns in Folge des höchsten Edicts vom 20ten Aprilis die Sache hierdurch unterthänigst pflichtmäßig einzuberichten.

Das Manuskript trägt am Seitenrand des ersten Bogens die handschriftliche Anordnung des Landgrafen vom 23. Mai 1792, daß der Inhalt des Berichtes der Universität Gießen per rescriptum bekanntzumachen sei und sie den Prof. Werner darüber zu vernehmen habe. Weiterhin sei ein Exemplar der inkriminierten Schrift einzusenden und ein wohlerwogenes Bedenken darüber zu erstatten Die Universität reagierte prompt, erließ ein Verbot der 'Aetiologie' Werners und leitete umgehend die angeordnete Untersuchung ein. Durch ein eilig verfaßtes Interventionsschreiben an den Landgrafen versuchte Werner daraufhin, die gegen seine Schrift erfolgte Anzeige als das Ergebnis eines lange gegen ihn geschmiedeten Komplotts darzustellen, wobei er, ohne Grolman beim Namen zu nennen, sich beklagte, daß "ein gewisser Mann, der es nicht müde wird, mich zu verfolgen" hinter der Denunziation stecken müsse.84 Durch die Überantwortung der Untersuchung an die Universität war zwar Grolmans unmittelbarer Einfluß auf den Verlauf der Verhandlung beschnitten, aber über seine Parteigänger in den Professorenkreisen, Büchner, Musäus85, Köster und sogar Ouvrier - um nur die exponiertesten Mitglieder des unter dem Einfluß Grolmans stehenden und in seinem Hause stattfindenden Montagskränzchens zu nennen, - war er über den aktuellen Stand jederzeit en detail unterrichtet. Über seine Mittelsmänner konnte er einzelne, in seinem Sinne verfaßte und seinen Zwecken dienende Vorstöße und Initiativen lancieren und somit die Untersuchung verschärfen. Dieser Fall trat beispielsweise ein, als die Universität ihren Bericht bloß auf die inkriminierten Stellen in der Einleitung der 'Aetiologie 'beschränkte, ohne sich auf den atheistischen Gehalt des gesamten Werkes einzulassen, eine Verfahrensweise, die der zur Grolman-Fraktion zu rechnende Professor Johann Heinrich Musäus in einem unaufgeforderten Partikularbericht an den Landgrafen vom 22. Juli 1792 zum Anlaß nahm, seiner Unzufriedenheit über das seiner Meinung nach zu milde ausgefallene Gutachten der Universität Beschwerde zu führen.86 In Darmstadt stieß Musäus mit seinem Einspruch gegen den Universitätsbericht auf offene Ohren, und der Landgraf forderte per Reskript vom 25. Juli von jedem einzelnen Universitätsprofessor ein unabhängiges, verschlossenes Partikulargutachten über die Schrift Werners ein. Diese z. T. äußerst umfangreichen Partikularvoten, - dasjenige des Professors Bechtold umfaßte 39 Kanzleibögen, - liefen im Laufe des August und Septembers in Darmstadt ein und wurden dem Darmstädter Konsistorium, neben dem als Briefpartner Grolmans bereits erwähnten Geheimen Rath von Lehmann u. a. auch dem Oberhofprediger Johann August Starck, zur Begutachtung und zusammenfassenden Berichterstattung übermittelt. Dieses Konsistorialgutachten, das am 24. Januar 1793 abgefaßt wurde, wurde abschließend durch einen Bericht des Ministeriums abgerundet, woraufhin der Landgraf, ganz offensichtlich verärgert über das in Gießen inszenierte Theater um die 'Aetiologie' Werners, einen Schlußstrich unter die Affäre zog, das von dem Universitätssenat verhängte Verbot des Buches aufhob und es bei einer Ermahnung Werners bewenden ließ, "da nicht alle Menschen einen so richtigen und tief durchschauenden Blick als diese Hochweise Facultät haben, und daß Dummköpfe wie Ich und andere mehr nichts Anstößiges am ganzen Buche gefunden haben". Von einem Buche dieser Art sei nicht zu befürchten, "daß es den allgemeinen Haufen verderbe, da es über die Sphaere der meisten Menschen gehet es erst einmal zu verstehen."87 Damit wäre die ganze Angelegenheit beigelegt gewesen, wenn nicht im Dezemberstück der von Archenholz herausgegebenen Zeitschrift 'Minerva' praktisch die gesamten einzeln und verschlossen nach Darmstadt eingeschickten Partikularvoten' 'der Gießener Professoren über die 'Aetiologie' Werners teils wortgetreu, teils ihre Tendenz referierend veröffentlicht worden wären. Damit hatte der Vorschlag Grolmans zur Ausforschung der Gesinnung jedes einzelnen Professoren anhand seiner Partikularvoten, den er in dem oben zitierten Brief an Gatzert vom 20. Dezember 1792 unterbreitet hatte, auf ironische Weise gegen die zu seiner Fraktion zu rechnenden Professoren, denn deren intolerante und reaktionäre Haltung war nun zum öffentlichen Skandalon angeprangert, ganz abgesehen davon, daß die von Grolman in dem genannten Brief anempfohlene Geheimhaltungsgarantie für eventuelle Denunziationsberichte ein für allemal als nicht einhaltbar und daher als untaugliches Inquisitionsmittel erwiesen war. Der Aufsatz in der 'Minerva 'war von einem Freund Werners, dem Dillenburger Justizrat und Aufklärungsschriftsteller Karl von Knoblauch, verfaßt worden, der auch auf Ersuchen der Gießener Universität von der Dillenburger Regierung in der Sache zur Vernehmlassung gefordert wurde.88 Knoblauch gab zwar zu, daß er der Verfasser des Aufsatzes sei, machte aber nicht bekannt, woher er den Wortlaut der Partikularvoten mitgeteilt bekommen hatte, und entlastete ausdrücklich seinen Freund Werner. Die Universität sah danach keine andere Möglichkeit mehr, in der Angelegenheit weiterzukommen und die undichte Stelle ausfindig zu machen, als kurzer Hand alle diejenigen einen Eid schwören zu lassen, die in irgendeiner Weise mit den Voten in Berührung gekommen waren, angefangen vom Ordinarius bis hinunter zum Briefboten und den Pedellen. Das Ergebnis war vergleichsweise dürftig und stand in keinem Verhältnis zu dem Aufwand, der dazu betrieben wurde. Lediglich einzelne Professoren, die mit Werner befreundet waren, z. B. Karl Christian Erhard Schmid, der inzwischen wegen eines eigenen Zensurverfahrens Gießen verlassen hatte und nach Jena gewechselt war, sowie Crome und Hezel, gaben zu , daß sie aus ihrem eigenen Votum keinen Hehl gemacht und es Werner zur Einsicht überlassen hätten. Das negative Ergebnis der Aktion wurde noch dadurch verstärkt, daß nun auch Werner, von dem man vermutete, daß er den Informanten kenne, durch nichts mehr, auch nicht durch die Androhung von peinlicher Strafverfolgung, zu bewegen war, einen seiner Freunde zu verraten und des Meineids zu überführen. Genau diesen Standpunkt vertrat Werner in beeindruckender Manier in einem Brief an den Landgrafen, wobei er sich auf seine Ehre und Freundschaftspflicht berief, die dem Landgrafen doch willkommener sein müsse, als die eigensüchtige Ehrlosigkeit seines Denunzianten.89 Noch einmal versuchte ein anonymer Parteigänger Werners durch einen bissigen Korrespondentenbericht in der Gothaischen gelehrten Zeitung über die aufklärungsfeindlichen Zustände in Gießen den Druck der Öffentlichkeit in die Waagschale zu werfen, woraufhin der Herausgeber der Zeitschrift auf Veranlassung der Regierung in Darmstadt über den Einsender befragt und die Auslieferung des Manuskriptes gefordert wurde, ohne allerdings den gewünschten Erfolg zu erzielen. Hatte der Landgraf im Vorjahr noch aus Großmut einen Schlußstrich unter die Affäre zu ziehen versucht, so beugte er sich nun einem politischen Kalkül, das ihn bewog, mit möglichst wenig Ansehensverlust für die Universität und ohne großes öffentliches Aufsehen zu erregen die Angelegenheit im Sande verlaufen zu lassen. Noch ehe das in diesem Sinne verfaßte landgräfliche Reskript vom 15. Dezember 1794 bei der Regierung und bei der Universität in Gießen eingelaufen waren, hatte Grolman von der für seine Gegner abermals glimpflichen Wendung der Angelegenheit erfahren. Ein solcher Ausgang des durch seine Denunziation zwei Jahre zuvor angezettelten Untersuchungsprozesses mußte der Gießener Regierungsdirektor als ganz und gar unbefriedigend und gar als persönliche Niederlage empfinden. Daher versuchte er gegen Ende des Verfahrens durch eine erneute Eingabe90 der ansonsten mit der Sache nicht betrauten Gießener Regierung der ganzen Affäre noch einmal eine Wendung in seinem Sinne zu verleihen:

Fürstlicher Regierung zu Gießen unterthänigstes Bedencken. Die Untersuchung wegen der in der Minerva bekannt gemachten Votorum particularium über die Wernerische Aetiologie betrefend.

In praesentia Totius Collegii. Exceptis Regierungs Rath Adolphi, Regierungs Rath von Buri, Regierungs Rath von Krug. Referens Regierungs Director von Grolman. Gießen den 20. September 1794.

Kaum war das höchste Edict wegen Bekantmachung gefährlicher Schriften vom 20ten April 1792. dahier erschienen und publicirt; so veranlaßten einige höchst bedenckliche Stellen in der Vorrede zu des Professor Werners Aetiologie eine durch jenes Edict zur doppelten Pflicht gewordenen Anzeige unsers Collegii, welches eine der Universitaet anbefohlene weitere Untersuchung nach sich zog, wodurch sich verofenbarte, daß zwar in dieser Schrift des Professor Werners die nehmlichen Religion- und Staats-verderbliche Grundsätze, nur in ein feineres Gewand gekleidet, vorgetragen sind, die in der famosen Schrift de Deo, Mundo, Homine, wegen deren Herausgabe der ehemalige Professor Schmidt, und sein Verleger Krieger, dahier bestraft worden, angetroffen werden, daß aber, worüber alle Collegia einig waren, und der Professor Werner in einer Verantwortung selbst eingestanden, wenigstens eine große Unvorsichtigkeit, in Ansehung der gerügten Stellen der Vorrede, ihm zur Last blieb.

Mit der höchsten Langmuth erfolgte die Fürstliche Decision dahin, daß der Professor Werner angewiesen werden solle, in Zukunft vorsichtiger zu seyn. Zufälliger weise hat auch der unerhörte lächerliche Stoltz und Egoismus, womit der Professor Werner in diesem Buch von sich selbst redet, da er sich unter andern, für den ersten Philosophen, seit dem die Welt stehet, erklärt, und die herben Züchtigungen, die ihm in der Oberdeutschen Litteratur-Zeitung, und an andern Orten, widerfahren, verursachet, daß seine Aetiologie längst mit Verachtung überschüttet, in den Officinen ein Ladenhüter worden ist, folglich vor der Hand wohl wenig Schaden thun wird.

Ob es aber zu der ihm so gnädig empfohlenen mehreren Vorsicht gehöre, daß er nun anfieng, dies Buch zum Grunde seiner Vorlesungen zu legen, (wozu er keinesweges, sondern nur zu den Kriegs-Wissenschaften berufen ist) und solches in dem Catalogo Lectionum, und in auswärtigen Zeitungen auszuposaunen, müssen wir dahin gestellt seyn lassen.

Daß er aber eben den Vorgang mit dießem Buch dahin mißbrauchte, ihn zur Publicitaet zu bringen, die erwischte vota particularia, und wer ihm nicht beyfällig votirt hatte, an den litterarischen Schandpfahl zu stellen; das ist doch mehr als Unvorsichtigkeit, sondern schnöder Undanck gegen die Gnade seines Fürsten, und stehet mit den heuchlerischen Versicherungen seiner Treue, Devotion, und geraden Gesinnung, die er in seinen häufigen ins Kabinet erlassenen Memorialien aufhäufet, in dem äusersten Widerspruch.

Zwar ist aus den Akten so viel zu ersehen, daß der Professor Werner nicht selbst für den Verfasser des in die Minerva eingerückten Aufsatzes zu halten ist. Es giebt sich vielmehr der Berg-Rath von Knoblauch zu Dillenburg für den Verfasser und Einsender an. Aber so viel ist aus den Akten klar, daß Werner die vota particularia gehabt hat. Er sagt in seinem Verhör, daß manche seiner Kollegen ihm selbst ihre vota gegeben hätten. Es ist ferner am Tage, daß Werner verschiedene Akten Stücke, zum Exempel, das votum des Professor Schmidt in Jena p.p. dem von Knoblauch in extenso mitgetheilt hat. Es ist ferner aus dem eydlichen Bekenntnüß des von Knoblauch zu ersehen, daß solcher das übrige des Aufsatzes in der Minerva aus verstreuten, theils mündlichen, theils schriftlichen Aeuserungen des Professor Werners p.p. gesammlet habe, und der Professor Werner gestehet in seinem Verhör, daß er alle ihm bekannte Umstände dem von Knoblauch schriftlich und mündlich mitgetheilt habe.

Da auser den von dem von Knoblauch benamten Stücken das übrige des Aufsatzes in Extracten der übrigen Voten bestehet, so sind vernünftiger Weise eben diese Extracte in die Briefform gefasset, nichts anders, als die schriftliche Aeuserungen des Professor Werners, deren der von Knoblauch hier etwas verdeckt gedencket.

Es sagt endlich der von Knoblauch eidlich und zwar zweymal sehr bedächtlich aus, er habe den Aufsatz nicht auf ausdrückliches Verlangen, nicht auf ausdrücklichen Auftrag der öfentlichen Bekanntmachung von Professor Werner in die Minerva gesendet.

Wie hätte von Knoblauch nöthig gehabt, zweymal das Wort ausdrücklich zu gebrauchen, wenn er es nicht mit Bedacht gethan hätte, um darhinter einen stillschweigenden Auftrag, ein stillschweigendes Verlangen zu verstecken? Nachdem der Mann ist, mit dem man zu thun hat, ist ein stillschweigender Auftrag weit sicherer und stärcker, als ein wörtlicher. Es kan seyn, daß Werner zu dem von Knoblauch nicht gesagt hat: Ich bitte Sie, ersuche Sie, gebe Ihnen den Auftrag! Es kan auch seyn, daß er zu ihm gesagt hat: Sie werden doch die Sachen nicht weiter drucken lassen! Wiewohl der eidlich vernommene von Knoblauch von einem Verboth nicht das Mindeste gedencket. Aber Beide standen, wie sie selbst sagen, in der intimsten Freundschaft, sie unterredeten sich nicht nur hier in Gießen über die Sache, sondern sie unterhielten sich auch darüber in Briefen, Werner theilte alles, was er erhielte, theils in extenso, theils im Auszuge dem von Knoblauch mit, Werner wußte, daß sein Freund in die Minerva arbeite, und in einem andern Aufsatz seines Processes bereits gedacht hatte, und Werners algemein bekannte Grundsätze einer zügellosen Publicität waren gewiß seinem intimen Freunde nicht verborgen. Bedurfte es etwas weiters zu einem stillschweigenden Auftrag?

Der sonst kluge Werner würde wahrlich einen sehr dummen Streich begangen haben, wenn er dem von Knoblauch noch einen besondern ausdrücklichen Auftrag ertheilt hätte, dessen es unter ihnen gar nicht bedurfte, und sie der vermeintlichen Schutzwehr gantz beraubt hätte; hinter welche sie sich nun stecken wollen. Bey allen diesen klaren Verlegenheiten, zusammen genommen mit den in dem Universitaets Bericht vom 28. Aprilis anni currentis enthaltenen Gründen, ist der Professor Werner für völlig überwiesen zu achten, daß er als Hauptperson, ohne welche sein Gehülfe von Knoblauch gar nichts hätte zu Stande bringen können, an der Verbreitung der votorum particularium durch die Minerva im Druck, wesentlichen Antheil genommen habe.

Die angeordnete Untersuchung betrift aber nicht allein den Professor Werner, sondern sie gehet auch denjenigen mit an, der die vota particularia gegen seine Pflicht verraten hat. Um das herauszubringen, hat die Universitaet gleich anfangs ein Mittel erwählt, dem wir unsern Beyfall nicht geben können. Man hat alle Professoren, den Secretarium, und die Pedellen gleichsam eine Art von Reinigungs-Eid schwören lassen. Zwey haben dabey bekannt, ihre vota, aber nicht die der übrigen Kollegen, respective mündlich und schriftlich dem Professor Werner mitgetheilt zu haben. In der Hauptsache aber ist dadurch nichts gefördert worden. Ein Glied der Universitaet muß inzwischen der Verräther seyn, ein anderer Fall läßt sich nicht wohl gedencken. Nun ist aber alles Verfahren gegen einen Eintzelnen um so mehr erschweert, als dießer nun doppelt meineydig erscheinen würde. Indessen ist das nun nicht mehr zu ändern. Es kan aber, wie wir zuletzt unterthänig ausführen werden, die Sache unmöglich auf sich beruhen bleiben, und der Professor Schmidt in Jena, der dadurch in Verdacht kam, weil er der Letzte unter den Schwörenden geweßen, und weil von Knoblauch behauptet; Werner habe sein votum von ihm selbst bekommen, fordert laut eine strengere Untersuchung, welches Begehren, wenn es auch verstellt seyn solte, dennoch der Gerechtigkeit gemäs ist.

Bey dießen Umständen bleibt ohnehin nichts übrig, als sich an den Professor Werner selbst zu halten. Das ist aber auch allen Rechten gemäs. Er ist, wie oben ausgeführt worden, ein überwiesener Correus in dießer Sache, und als solcher schuldig, seine Socios anzugeben. So gut er Socius von dem von Knoblauch ist, der die vota particularia in die Minerva brachte, eben so gut ist er Socius von demjenigen, der ihm die vota herausgab. Zwischen beiden stehet er wenigstens als Mittelsmann. Indessen weigert er sich seinen Mann zu nennen, unter der Aeußerung, er werde sich durch kein Mittel dahin bringen lassen, das Vertrauen seiner Freunde auf eine so schändliche Weise zu mißbrauchen, und auf den Vorhalt, wie er dieße die Untersuchung erschwerende Weigerung bey Serenissimo zu verantworten gedencke, antwortet er mit Dreistigkeit: das seye seine Sache! Er hat auch durch eine besondere Vorstellung vom 23. April anni currentis diese Weigerung unmittelbar bey Serenissimo zu beschönigen gesucht; aber diese Beschönigung enthielt vielmehr ein Übermaas an Frechheit. Er, der als ein Mann der, um sich des gelindesten Ausdrucks zu bedienen, gefehlet hat, vor Gericht stehet, vergleicht sich mit seinem Fürsten und will, weil dieser es für unanständig halten würde, ein ihm vertrautes Geheimnüß zu verrathen, nun seine Consorten nicht angeben. Wenn ein solcher Grundsatz vestgesetzt werden solte, so kan man in Zukunft auf die Herausbringung der Mittheilnehmer gantz Verzicht leisten, denn jeder Verbrecher würde sich damit helfen können. Ja die Frechheit gehet noch weiter; er muthet seinem Fürsten nicht nur zu, die gantze Sache lieber zu unterdrücken, sondern er räth ihm sogar an, seinen Kollegen über die ihm geschehene Mittheilung ihrer votorum einen ernstlichen Verweiß zu geben, also die Ungerechtigkeit zu begehen, auser dem vielleicht eintzigen Schuldigen, noch unschuldige Männer, ihm zu Gefallen, damit er nur los komme, zu bestrafen. Schändlich und höchst verwerflich ist dies freche Benehmen des Professor Werners! Es kan allerley Zwangs Mittel geben, einen Correum zur Benahmung seiner Theilnehmer anzuhalten, Gefängnüß, Geldstrafen p.p. Man glaubt aber, daß hier zugleich der Fürstlichen Würde am angemessensten seyn würde, wenn dem Professor Werner bey Strafe der Kassation befohlen würde, binnen 24. Stunden den- oder diejenigen, welche ihm die vota particularia mündlich oder schriftlich eröfnet, anzugeben.

Da von der Genehmigung dießes unterthänigsten Antrages, und dem darauf zu erwartenden Erfolg alles übrige in der Sache mitzuberuhen scheint; so enthält man sich vor der Hand weiterer Anträge, und fügt nur noch unterthänigst an, daß zu dießem Antrag mit einen Grund abgegeben habe, weil, wie wir pflichtmäßig dafür halten, dieße Sache nicht unterdrückt, sondern in ihrem Gange gantz ausgeführt werden muß.

Die Verletzung des Silentii ist ein Eid- und pflichtwidriges Verbrechen, worauf Serenissimus so gerecht und höchst Löblich bey allen Collegiis mit aller Schärfe Einsehen genommen wissen wollen, welches so weit gehet, daß jetzt wirklich eine neue schärfere Verordnung deshalb in Berathung steht. Solte das nicht auch bey der Universitaet, bey welcher keineswegs, wie Werner vorspiegelt, meist unbedeutende, sondern sehr wichtige Sachen, oder doch wenigstens solche Gegenstände, in Deliberation kommen, wo die Verbreitung der votarium die schädlichsten Folgen haben können, nicht auch angewandt werden? Ofenbar falsch aber, und nach übertriebener Aufklärung schmeckend sind die Sätze, die hin und wider in den Akten aufgestellt werden, zum Exempel, als wenn jeder Votant Herr seiner privat Meinung sey, und solche öfentlich sagen dürfe; da doch jeder Votant, sobald er im Collegio seine Meinung abgegeben hat, nicht mehr Herr davon ist, sondern vermöge des Juramenti Silentii schweigen muß.

Die seit einiger Zeit aufgekommenen - und in verschiedenen Ländern noch zur Zeit mit Schonung behandelte Mode gantze collegialische Verhandlungen, sogar oft vor entschiedener Sache in Journalen und Zeitungen durchzuhecheln, ist ein schändlicher Unfug der übertriebenen Preß Freiheit. Was ein auf Religions- und Staatsumwältzung Verbrüderter mit den Ungeheuern in Paris in Verbindung stehender Bund damit bezwecket, ist aus öfentlichen Schriften hinlänglich bekannt. Darf man ungescheuet ohne Ahndung die vota verrathen, und drucken lassen; so ist das juramentum Silentii ein Unding in Zukunft, und eine Verspottung des göttlichen Nahmens, so oft man es einen neuen Diener schwören läßt. Aber die Folgen sind unübersehbar. Abgesehen davon, daß nun Dinge an des Tages Licht gezerrt werden, die ein Geheimnüß, auch in andern Rücksichten bleiben solten, und welche man mit in die Grube zu nehmen, schwören müssen, ist auch die gantze libertas votandi dahin. Ein schwacher, furchtsamer, minder gewissenhafter Votant wird sich nicht mehr nach seiner Überzeugung - sondern mit nach dem herrschenden Ton richten. Männer von Gewicht und Ansehen, und die spitze Feder gewandter Schriftsteller wird er scheuen, und ihnen nicht mehr das Maas der Gerechtigkeit zumessen, das ihnen gebührte. Nicht nur die niedern Collegia, sondern die Ministerien, ja die Landesherrn selbst, werden endlich unter die Hechel dreister Scribler genommen, und am Ende um Ansehen, guten Ruf, und Würde gebracht, oder sie müssen mit solchen Klopfechtern ihre edle Zeit auf mißständige Weise zubringen, und die Fürsten am Ende auch ihre gerechtesten Endscheidungen vor dem Richterstuhl ihres eigenen Volks rechtfertigen. Sehr passend hat daher schon der große After Aufklärer Campe den Bund der Schriftsteller, die gesetzgebende Gewalt in Deutschland genannt.

Wie müssen daher pflichtmäßig dafür halten, daß alles anzuwenden, um dieser Sache auf den Grund zu sehen, und ein abschreckendes Exempel zu statuiren seye, damit Niemand auf den Gedancken gerathe, auch in unßerm Lande könne ein Unfug getrieben werden, der andere Gegenden drückt, so sehr auch solcher von andern Menschen, die ihre Absichten dabey haben, durch arge Sophistereyen vertheidiget werden will. Nächstdem hat der Professor Werner durch die überwiesene Theilnahme an der Herausgabe des Aufsatzes in der Minerva seine Kollegen schändlich injurirt, und dieße Injurie selbst in den Vorstellungen an Serenissimum auf die auffallendste Weise widerholt, und ihnen gebührt dafür um so mehr Genugthuung, da kein partheiisches Verfahren aus den Akten hervorleuchtet und die Idee von Kabalen und dergleichen, womit Werner gegen Jedermann, der gegen ihn von Amts wegen handeln muß, so verschwenderisch um sich wirft, gantz ofenbar, um seiner bößen Sache einen Mantel überzuwerfen, aus der Luft gegrifen ist.

Viele unter ihnen sind doch solche Männer, mit denen der Professor Werner weder an Gelehrsamkeit, noch an Verdienst um die Wissenschaften, noch an Nützlichkeit für die Universitaet und den Staat, sich messen kan, und für solche Männer wäre es doch traurig, von einem Mann ungestraft in officio so arg angezapft zu werden, der in Ansehung des akademischen Verdienstes eigentlich nichts, als die Celebrität vor sich hat, die er selbst um sich her prahlerisch verbreitet.

Noch müssen wir zu unserer Sicherheit bemercken, wie wir nicht glauben integra Acta gnädigst mitgetheilt erhalten zu haben. Wenigstens fehlten die Gutachten Fürstlicher Regierung zu Darmstadt, die nach dem auf den Universitaets Berichten stehenden Signaturen erfordert worden sind.

Ein noch prominenteres Opfer der Verketzerungskampgne Grolmans, als der Ingenieurhauptmann und Professor Werner war, wurde zur gleichen Zeit der vor nicht langer Zeit aus Jena nach Gießen berufene Professor der Logik und Metaphysik Karl Christian Erhard Schmid, gegen den wegen der Herausgabe zweier berüchtigter materialistischer Schriften im Verlag des Gießener Buchhändlers Johann Christian Konrad Krieger ebenfalls ein Inquisitionsprozeß angestrengt wurde. Dabei ist auf personelle wie inhaltliche Zusammenhänge zwischen den beiden Verfahren hier nur am Rande zu verweisen.91 Auf eine detailgetreue Wiedergabe des durch eine günstige Quellenlage hervorragend dokumentierten Verfahrens, - das Prozeßgeschehen ist, vor allem so weit es den Verleger Krieger betrifft, von der inkriminierten Verlagsankündigung auf der Basis der von Grolman initiierten fürstlichen Zensurerlasse bis hin zur Verurteilung minutiös belegt, - kann an dieser Stelle verzichtet werden, da der gesamte Komplex in der soeben abgeschlossenen Dissertation von Christine Haug ausführlich dargestellt worden ist.92 Schmid, der vor dem Antritt seiner Gießener Professur Hofmeister des Schriftstellers Friedrich von Hardenberg (Novalis) war, hatte das berüchtigte Buch 'De Tribus Impostoribus breve Compendium De Moyse, Christo et Mahumete' beim Abschied von Novalis aus dessen elterlicher Bibliothek zum Geschenk erhalten und es bei seiner Ankunft in Gießen zusammen mit der nicht minder verschrienen atheistischen Schrift Theodor Ludwig Laus 'Meditationes Philosophicae de Deo, Mundo, Homine' mit dem zusammenfassenden Haupttitel 'Zwey seltene antisupernaturalistische Manuscripte' 1792 bei Krieger in Marburg (unter dem fingierten Erscheinungsort Berlin) drucken lassen. Damit hatte sich Schmid, der übrigens auch Mitglied der von Grolman gleichzeitig denunzierten Mainzer korrespondierenden literarischen Gesellschaft war, ebenso prompt wie Werner mit seiner 'Aetiologie' eine Denunziation und in deren Gefolge einen Untersuchungsprozeß zugezogen, in dessen Verlauf er sich enttäuscht aus Gießen verabschiedete, um eine Professur in Jena anzutreten.93 Auch wenn Grolman in diesem Fall zunächst nicht in Erscheinung trat, trug die ungewöhnliche Vorgehensweise der Regierung in Darmstadt, die mit einem förmlichen Nacht- und Nebeleinsatz einen Überraschungsschlag gegen den Kriegerschen Buchladen in Gießen zu landen versuchte, deutlich die Handschrift der oben zitierten Grolmanschen Vorschläge vom 20. Dezember 1792 zur Eindämmung der angeblichen gegen Staat und Religion gerichteten Umtriebe und geheimen Machenschaften der Illuminaten. Um drei Uhr nachts weckte ein Staffettenreiter den Rektor der Universität aus dem Schlaf und überreichte eine Ordre des Landgrafen, die den Rektor anwies, unverzüglich und unmittelbar nach Eintreffen der Verfügung eine Untersuchung gegen den Universitätsbuchhändler einzuleiten und sämtliche Exemplare der inkriminierten Schrift zu beschlagnahmen. Da Krieger nicht in Gießen anwesend war, wurden seine Angestellten noch in der Nacht verhört, die sich aber unwissend zeigten und auch im ganzen Buchladen kein Exemplar des fraglichen Buches auffinden konnten. Der Buchhandlungsgehilfe gab lediglich zu verstehen, daß Krieger die Auflage in Marburg gedruckt haben könnte, wo sein Verlag sei und er auch eine Druckerei betreibe. Erst später wurde Krieger selbst verhört, und mit der anschließenden Abstattung eines Universitätsberichts an die Regierung glaubte man, der Untersuchungsverfügung genüge getan zu haben. Offensichtlich gelang es aber der Grolman-Fraktion, gegenüber der Regierung in Darmstadt das zu lasche Vorgehen der Universitätsbehörde zu monieren, mit dem Erfolg, daß der Gießener Regierungsdirektor selbst an die Spitze einer Sonderkommission gestellt und mit der weiteren Untersuchung und Bestrafung der Betroffenen betraut wurde. Die Universität hingegen erhielt einen scharfen Verweis94 und wurde überdies aufgefordert, ihre bisherige Zensurpraxis überhaupt in einem ausführlichen Bericht vorzustellen. Als von der Regierung in Darmstadt eingesetzter Sonderkommissar sorgte Grolman für die Bestrafung Schmids und Kriegers und versuchte darüber hinaus, auch die Marburger Universität zu veranlassen, ihre Zuständigkeit wegen des Druckes der Schrift in Marburg wahrzunehmen und gegen Krieger vorzugehen. Um eine solche weitergehende Inquisition gegen Krieger möglichst zu befördern, übermittelte Grolman in verschiedenen Schriftsätzen die Gießener Untersuchungsergebnisse und die gegen Krieger und Schmid verhängten Urteile an die Marburger Universitätsbehörde.

Beide Prozesse zusammen, nämlich der gegen Werner und der gegen Schmid, sind insofern von höchstem kulturhistorischen Interesse, als sie in einer gewissen Weise das Gießener Vorspiel zu dem späteren Jenaer Atheismusstreit, in dem es um die Amtsenthebung Fichtes ging, handelt, ein Zusammenhang, der eine eigene wissenschaftlich Untersuchung erfordern würde. Nicht nur sollte Schmid in dieser Auseinandersetzung noch eine nicht unbedeutende Rolle spielen, sondern auch sonst schalteten sich von Gießen aus verschiedene Verfasser in die Diskussion um Fichtes angeblichen Atheismus ein, u. a. wird der Fichtesche Atheismusstreit auch in der 'Eudämonia '(von Grolman?) kommentiert.

2.6. Entstehung der 'Eudämonia', Affäre Greineisen und literarische Fehde um Grolmans Obskurantismus

Neben den von dem Gießener Regierungsdirektor in Gang gesetzten Gesinnungsschnüffeleien, Bespitzelungen und politischen Untersuchungen war, wie sich bereits herausgestellt hatte, die wirkungsvollste und in ihren Konsequenzen nachhaltigste Initiative Grolmans die Erwirkung von scharfen Regierungserlassen und fürstlichen Reskripten, deren rigorose Anwendung dann in seine Amtsführung fiel. In diesem Zusammenhang ist ein in der Forschung bislang nicht in hinreichendem Maße bemerkter Aspekt zu betonen, der eine der wesentlichen Motivationen für die Entstehung der Zeitschrift 'Eudämonia' darstellt, nämlich die Absicht, mit den in das Periodikum eingerückten Gegenständen nicht nur auf die öffentliche Meinung in einem extrem konservativen und reaktionären Sinne Einfluß zu nehmen, sondern auch ganz gezielt die Obrigkeiten mit Materialien zu versorgen, welche die konkrete Grundlage für die Verabschiedung restriktiver Gesetzeswerke auf Reichs- und Länderebene darstellen sollten. Gustav Krüger, dessen Rekonstruktion der Entstehungsgeschichte der 'Eudämonia' aus den Akten des Darmstädter Grolman-Nachlasses hier vorausgesetzt werden muß, hat aufgrund der Abschrift eines Briefes von Riese an Starck vom 3. Oktober 1792 bereits andeuten können, daß der Plan der Gründung eines Anti-Revolutions-Journals in enger Verbindung mit Zusammenstellung und Ordnung von Materialien und Vorschlägen für eine umfassende Gesetzesänderung stehe. Dieses stellte Riese jedenfalls während einer ihm von Karl Friedrich von Baden gewährten Audienz am Rande der Wilhelmsbader Fürstenkonferenz (29. September bis 2. Oktober 1792) so dar.95 Daß es sich bei den dem Herzog von Baden gegenüber genannten Kennern der deutschen Reichsverfassung, die mit dieser Aufgabe betreut waren, um Grolman und Köster handelte, hat Krüger richtig zugeordnet, und auch der Vermutung, der Niederschlag der Gedanken der beiden Gießener Freunde sei in der unter dem Titel "Materialien zu einem neuen Reichsgesetz gegen das schriftstellerische Unwesen" im vierten Band der 'Eudämonia' (1797) enthalten, ist zuzustimmen. Ein neuerlicher archivalischer Fund ist geeignet, Krügers Vermutungen zu erhärten und die Kenntnis von der Entstehungsgeschichte der 'Eudämonia' um eine Facette zu erweitern. Aus den Briefen Grolmans an den Grafen Wilhelm von Solms-Braunfels96 wird nämlich deutlich, wie Grolman die jüngste günstige Entwicklung, wie sie sich auf der Wilhelmsbader Fürstenkonferenz abgezeichnet hatte, dahingehend zu nutzen versuchte, auch andere, in Wilhelmsbad nicht anwesende Regenten und Potentaten für die Unterstützung der Herausgeber des Anti-Revolutions-Journals zu gewinnen:

Durchlauchtigster Fürst, Gnädigster Herr.

Unter Ew. Hochfürstl. Durchlaucht höchstem Siegel ist mir ein Geschenk zugekommen, wofür ich unterthänigst danke. Diese zwey kleine Druckschriften, dessen Verfasser ich nicht kenne, enthalten manches Gute, u. sind in unsern Zeiten sehr zweckmäßig. Wenn nur gutgesinnte Menschen fortfahren so der guten Sache zu dienen, und sich durch das jenseitige Schimpfen und Lästern nicht irre machen lassen.

Der Kabinets Sekretär fragte mich vor einiger Zeit über verschiedene Dinge, und über einen Punct konnte ich nicht ganz offenhertzig herausgehen, weil er wirklich in seiner Maase [sic] ein Geheimnis ist. Ich nahm mir aber sogleich vor Ew. Hochfürstl. Durchl. in einem Briefe das Nähere vorzulegen. Allein eine nicht unbedeutende Krankheit hinderte mich. Jetzt da ich wieder aus dem Bette seyn kann, bringe ich meinen Vorsatz zur Wirklichkeit.

Eine Gesellschaft ehrlicher deutscher Männer, deren Nahmen jetzt noch nicht gesagt werden können, die aber aus Theologen, Staatsmännern, Philosophen, mehrentheils schon bekannten Schriftstellern besteht, hat schon lange, nicht förmlich, sondern durch gemeinsame Gesinnungen, einen Bund geschlossen, alles anzuwenden, und sollte es mit Aufopferung Guts und Bluts seyn, die Religion, die Fürsten und unsere Staatsverfassung bis auf den lezten Mann zu vertheidigen, und da leider! die Fürsten auf ganz unbegreifliche Weise für so etwas so wenig empfänglich sind, ohnerachtet Sie es sind, denen das Messer an die Kehle gesezt ist, gleichwol so lange zu schreyen und zu rufen, bis sie endlich gehört werden, bis die Fürsten es endlich gnädigst erlauben sie zu retten, wenn's nicht alsdann zu spät ist. Seit der Zeit sind eine Menge Schriften durch uns in die Welt gekommen, dergleichen man noch vor zwey Jahren keine sah. Doch ist nicht alles der Art von uns. Z. E. der Nachtrag zum Endlichen Schicksal des Freymäurer Ordens ist nicht von uns; wir mögten gerne den Menschen erforschen. Allein auch andere Mittel haben wir versucht den Kabinetten beyzukommen, und ein heilsames Holla! der darin herrschenden Lethargie zuzurufen. Es kostete uns unendliche Mühe das zu thun, was doch genau bey Lichte betrachtet, nichts als unsere Pflicht ist. Nach jahrelangem unverdrossenem Bemühen erlangten wir endlich so viel, daß wir glauben konnten, man habe unser Daseyn bemerkt, und es eben nicht ungnädig vermerkt, daß wir noch gesonnen seyen, unsere Pflicht zu thun. Ein eintziger ansehnlicher Fürst hatte uns ganz verstanden, u. wir erhielten förmliche Antwort von ihm, daß er alles approbire, Er aber zu schwach seye ohne Reichsgesetz nur in seinem eigenen Lande die Giftlaboratorien zu zerstöhren. Manches Wahre lag in dieser Antwort, u. wir fingen nun an Materialien zu einem R[eichs]Gesetz zu samlen, da wir diese gute Disposition bey jenem Fürsten sahen, der großen Einfluß an den mächtigsten Höfen hat. Zu gleicher Zeit trugs sich zu, daß der Wilhelmsbader Konvent verabredet wurde. Wir faßten so viel Hertz einen produciblen Mann von uns dahin abzufertigen, der unerwartet günstiges Gehör bey den beiden großen Fürsten fand, die eigentlich nur allein dies Konvent ausmachten. Es ward sogleich, ohne daß wir uns alle nannten, Schutz für unsere Personen und Beförderung für unsere Schriften versprochen, u. erwartet man mit Verlangen die Materialien zu einem Rgesetz um den gefährlichen Unfug aus der Litteratur zu treiben. Alles dies ward sogar in das Konferenz Protokoll aufgenommen, und dahin zielt nun die Stelle, die dem Ausschreiben an andere Höfe, und der Erklärung, die von Baden auf dem Reichstag geschehen, eingeflossen ist.

Eine Haupt Absicht war, ein Anti Revolutions Journal zu schreiben, das mit dem neuen Jahr anfangen sollte. Verschiedene Hindernisse aber u. hauptsächlich die Nähe der Franzosen bey Erfurt, wo der Verleger in Angst gerieth, haben ihm Aufschub gegeben. Desto fleißiger ist an den Materialien zu einem R[eichs] Gesetz gearbeitet worden, die nun fertig sind, und dermalen hier in der Stille abgeschrieben werden. Alsdann müssen sie noch einem wichtigen Mann unter uns zur Revision zugesendet werden. Doch wird alles in wenigen Wochen zum Druck bereitet seyn. Es gibt wenigstens 10. Bogen, u. die müssen heimlich als Manuskript gedruckt werden, u. zwar in großer Anzahl, um alle Höfe und Minister hinlänglich damit versehen zu können. Dies erfordert eine Ausgabe von vielleicht dreyhundert Gulden. Um nicht diese starke Ausgabe aus eigenem Beutel zu bestreiten, da wir nicht auf Belohnung ausgehen, und von der andern Seite den drey Höfen, die uns Protection zugesagt haben, nicht beschwerlich und zudringlich zu fallen, samlen wir zu diesem Behuf Subskription von wohldenkenden Männern. Wollten Ew. Hf. Durchlaucht die Gnade haben auf etwas zu subskribiren, so hat es mit der wirklichen Zahlung so lange Zeit, bis ich davon unterthänigst avertire. In Berlin sind wir so glücklich gewesen ins Kabinet zu dringen, die Schriften sind dem Könige vorgelesen, u. einige davon hat er zurücklegen lassen, um sie noch selbst zu lesen. Zu Wien aber, wo alles voll Illuminaten steckt, harren wir noch in der Anti Chambre. Beide große Höfe müssen gewonnen seyn, wenn etwas nüzliches ganz zu Stande gebracht werden soll. Jetzt ist die Sache selbst noch ein Geheimnis; auch in der Folge wollen die Mitglieder vor der Hand nicht genannt seyn; man wird aber, wenn es verlangt wird, jedem Hofe einen und den andern bekannten Mann, insbesondere seine Unterthanen gerne nennen. Mann will nur für der Rotte geheim bleiben, damit solche nicht, ehe noch die Sache selbst sprechen kann, Gelegenheit erhalte, die Personen, wie sie so gerne thut, zu verläumden, verdächtig zu machen, u. so den Eindruck der Sache selbst zu schwächen. Ich beharre in tiefstem Respect

Ew. Hochfürstlichen Durchlaucht unterthänigster Diener LAC Grolman. Gießen d. 3. Jan. 1794.

Trotz all der Intrigen und dunklen Machenschaften, die bislang auf Grolman Konto zu rechnen waren und die bereits ausgereicht hätten, ihn als einen der finstersten Obskuranten seiner Zeit zu charakterisieren, stand der negative Höhepunkt seiner inquisitorischen Karriere noch bevor: die sogenannte Affäre Greineisen, durch die Grolman eine gewisse Publizität erlangte. Vor allem der Makel, daß der Gießener Regierungsdirektor in dieser Sache als Kläger und Richter gleichzeitig auftrat, wurde in verschiedenen Veröffentlichungen angeprangert. Was die zeitgenössische Öffentlichkeit nicht zu erfahren bekam, war der oben geschilderte skandalöse Umstand, daß sogar die rechtlichen Grundlagen, auf der die Untersuchung gegen Greineisen basierten, nämlich die landgräflichen Erlasse gegen die Revolutionspropaganda, von Grolman überhaupt erst initiiert worden waren, so daß also vorübergehend gewissermaßen legislative, judikative und exekutive Gewalt weitgehend in den Händen Grolmans lagen.

Im Frühjahr 1794 ließ Grolman den Privatdozenten der Rechte Johann Ludwig Justus Greineisen97 in Gießen in einer erneuten Nacht- und Nebelaktion wie einen gefährlichen Schwerverbrecher unter seiner persönlichen Anwesenheit in verhaften und für mehr als ein Jahr, unter Bedingungen, die einer Isolationshaft gleichkamen, in Kerkerhaft nehmen.98 Anklagepunkt war der Verdacht des Jakobinismus und der Volksverhetzung, womit Grolman eine breit angelegte Untersuchung zu verbinden wußte, die darauf abzielte, einen entscheidenden Schlag gegen das ganze Sympathisantenumfeld Greineisens zu führen,99 ähnlich wie dies Grolman bereits zwei Jahre zuvor in seinen Briefen an Gatzert in Vorschlag gebracht hatte. Wie sehr die damals unterbreiteten Ideen Grolmans in die Verhandlungsführung im Falle Greineisen einflossen, zeigt die paritätische Zusammensetzung der Untersuchungskommission mit Mitgliedern aus der Regierung und der Universität, wie dies ganz ähnlich in den Briefen an Gatzert als Modell vorformuliert worden war. In der nach seiner Haftentlassung verfaßten Rechtfertigungsschrift des Gießener Privatdozenten, erhob Greineisen schwere Vorwürfe gegen Grolman, die Krüger auf unterschwellig subtile Weise, Hubbertz dagegen mit aufgefahrenem schwerem Geschütz als die subjektiv gefärbte Sichtweise eines unmittelbar Betroffenen bzw. als die böswillige und rachsüchtige Verdrehung der tatsächlichen Begebenheiten durch einen erklärten Feind des Gießener Regierungsdirektors abzuschwächen versuchten. Es ist in dem vorliegenden Aufsatz schon an mehreren Stellen nachgewiesen worden, daß die Hintergrundinformationen Greineisens weit davon entfernt sind, überzogen und überzeichnet oder gar gänzlich aus der Luft gegriffen zu sein. Die von Greineisen in seiner Vorrede und in der Einleitung vorgenommene Charakteristik Grolmans sollte in der Forschung daher ebenfalls nicht länger mit einem unverbindlichen Schulterklopfen abgetan, sondern in ihrem Informationsgehalt ernst genommen werden:

In eine solche Lage von meinen Feinden versetzet, bin ich daher genöthiget, dem 'unpartheyischen Publicum', die Geschichte der 'Verfolgung', welche ich erlitten habe, zu erzählen; und dieses um so mehr, weil eben durch diese Bekanntmachung ein Mann, der seit einigen Jahren die 'infame' Rolle eines 'Delators' spielet und der Urheber meines widrigen Schicksals war, hierdurch 'völlig 'entlarvet wird. Ein Mann, der die Frechheit besitzet, durch öffentliche Schriften 'mit' und 'ohne Maske', die 'ersten' und 'edelsten' Staatsbürger 'Deutschlands' zu verläumden und auf das ehrenrührigste anzugreifen. [Vorrede S. II.].

'Giesen' [...], wo eine 'fürstliche Regierung' und eine' Akademie' ihren Sitz hat, wo man um so mehr glauben sollte, daß die 'Toleranz in Meinungen' stattfände, wurde die Mördergrube, von der aus der Herr Landgraf jeden Posttag mit Delationen, gegen die 'besten' Staatsbürger gleichsam bestürmet wurde.

An der Delatoren Spitze stand ein Mann, von großem Gewicht und Ansehen, der Chef der dasigen Regierung, vor dem sich jeder in dem Oberfürstenthum schmieget und bieget; und diese um so mehr, da es allzu bekannt ist, wie gefahrvoll es ist, dessen Haß auf sich zu laden; man auch aus der traurigen Erfahrung weiß, daß er im hohen Grad die Fähigkeit besitzet, mit der größten 'jesuitischen' Schlauheit, seinem vermeinten Feinde den Dolch rücklings ins Herz zu stoßen. - Doch welch' ein 'unparteyisches' 'Publicum' kennet nicht diesen gefährlichen Mann, diesen berüchtigten Schildknappen des Oberhofpredigers 'Stark' in 'Darmstadt'; den verrätherischen Herausgeber und Notenmacher des 'Spartacus' und 'Philo'; dessen Rede bey der Schließung der Freymäurer-Loge in 'Giesen', in welcher er die würdigsten Männer 'Deutschlands', als Urheber der 'französischen' Staatsumwälzung angiebt, den Charakter derselben mordet; und endlich den Mitarbeiter und Verbundenen, des berüchtigten 'Aloysius Hoffman' und 'Hofstädter' in 'Wien'?

Mit diesem Mann (einem ächten Jesuiten) dem Regierungsdirector von 'Grolman', schlossen nun seine Creaturen, und all diejenige, die bösen Herzens waren, von der 'Universität' nicht minder, als der 'Regierung' einen Bund, alle bieder Staatsbürger, unter der 'Maske' des Patriotism zu verfolgen, und sie unglücklich zu machen. [Einleitung S. VII.I-XII.].

Im Verlauf der Untersuchung, die das gesamte Umfeld Greineisens aufzudecken bestrebt war, wurde auch eine höchst interessante Figur aus dem Freundeskreis des Privatdozenten der Rechte verhört, auf die hier aufmerksam gemacht zu werden verdient, auch wenn es Grolman in diesem Falle nicht gelang, Licht in die Hintergründe und Zusammenhänge zu bringen. Gemeint ist der aus Hanau stammende damalige Gießener Student und Schüler Cromes Georg von Cancrin, der spätere, unter mehreren Zaren amtierende, russische Finanzminister Graf Kankrin (1774-1845), der u. a. für die Abschaffung der Leibeigenschaft im russischen Zarenreich verantwortlich zeichnete. Cancrin hatte sich unmittelbar nach seiner Verwicklung in die Untersuchung gegen Greineisen nach Marburg und seit 1797 nach Rußland abgesetzt. Ein Jahr nach dem Erscheinen von Greineisens Verteidigungsschrift veröffentlichte er anonym und in demselben Altonaer Verlag einen schwärmerischen Revolutionsroman mit dem Titel 'Dagobert. Eine Geschichte aus dem jetzigen Freiheitskriege', der die Revolutionsbegeisterung Greineisens und seiner Freunde literarisch reflektiert. So beteuern sich beispielsweise die Hauptpersonen des in Gießen und Marburg angesiedelten Romangeschehens in ihren wechselseitigen Briefen, in allen Lebenslagen an den Idealen der Französischen Revolution festhalten zu wollen. Als Einzelpersonen verkörperten sie das Ideal des reinen, uneigennützigen Menschen, der seine individuellen Bedürfnisse und Interessen hinter die der französischen Menschheitsutopie zurücksteckte. In den Roman eingewoben ist ein Freiheitsgedicht, das als Manifest des schwärmerischen Kreises um Greineisen gelten kann und das nicht zuletzt als ein sich aufbäumender Aufschrei in der vergifteten und drückenden Gießener Atmosphäre zu begreifen ist und sich ironisch auf die Herausgeber der 'Eudämonia' bezieht:

An Deutschland100

Wie lange noch soll dieser Schlummer währen,
Der Seelenmodernd in dir stockt,
Wielange noch willst du der Täuschung hören,
Die dich zu trägen Sümpfen lockt?
Soll ewig dich der Wahrheit Fackel blenden?
Die Fern des Unsinns Strom erstickt,
Soll sich umsonst der Freiheit Sonne wenden,
Wenn sich die Nacht um dich verdickt?
Kann ewig dich ein Heuchellächeln kirren?
Und von der Donau zu dem Rhein,
Dir stets der Fesseln ewig lautes Klirren,
Ein sanftes Wiegenschlaflied seyn?
Thatlosigkeit liegt dumpf auf Deutschlands Auen,
Sie nennen's Ruh' und Völkerglück,
Verblendete! könnt ihr denn nie durchschauen,
Ja Herrscherruh, Tyrannenglück.
Hai eitel geht ihr an der längern Kette.
Fast Herz und seufzet, "Wir sind frei"
Ein Heer Vampyre saugt euch in die Wette,
"Das Wohl des Staats, ruft ihr - Es sey."
Ha! Freiheit wärs? was sie aus Gnade schenkten,
Man um der Heerde Nutzen that.
Ha Freiheit? was aus Rechte nicht, aus Ränken,
Man euch zum Spiel gelassen hat.
O! Allemannien wie tief bist du gesunken?
Hin in ein bodenloses Meer,
Gestorben auch der lezte lezte Funken,
Nur Fieberschlaf und Nacht umher.
Wird ewig dich der Menschheit Adel fliehen?
Nur selbst sich Herrscher seyn. -
Doch Sklavensinn hat Freiheit stets verschrien,
Das Roß kann nur der Zügel freun.
Umsonst erhebt mit freiem Riesentritte,
Die Welt im Sturm sich neben dir,
Fluch dir! Bleib Sklav, und messe deine Schritte,
Feig in der Aengstlichkeit Revier.
Nicht Thränen Brüder! Gott! nicht Thränen
Um dieses deutsche Dahomey.
Fluch ihm, entflieht, verscheucht das eitle Wähnen,
So bleibe Sklav, die Welt sey frei.

Während es Grolman offensichtlich nicht gelang, etwas gegen Cancrin vorbringen zu können, waren die Konsequenzen aus der Untersuchung gegen Greineisen für Cancrins Gießener Lehrer bereits erheblich prekärer. Unter den Männern, die im Zuge der Untersuchung gegen Greineisen gleich mit ans Messer geliefert werden sollten, war der Gießener Professor der Staatswissenschaften August Friedrich Wilhelm Crome, ehemaliges Mitglied der Deutschen Union Bahrdts und ein über die Grenzen Hessen-Darmstadts hinaus bekannter Verfechter einer liberalen und aufgeklärten Staatsidee. Ihm schwebte eine auf einer wissenschaftlichen Statistik und modernen Gesellschaftsanalyse gründende behutsame Reformpolitik vor, die sich an dem nahezu alle Teile des gesellschaftlichen Lebens umfassenden Reformmodell des Großherzogs Leopold von Toskana orientieren sollte. Crome war nicht nur mehr oder weniger in alle von Grolman angestellten Untersuchungen als Betroffener involviert, sondern hatte auch u. a. durch die Herausgabe einer aufklärerischen politischen Zeitschrift und wegen mehrerer staatspolitischer Schriften, wobei seine umfangreichen Kommentare zu den kaiserlichen Wahlkapitulationen von 1790 und 1792 an vorderster Stelle zu nennen wären, sich als einer der wichtigsten und am meisten ernstzunehmenden Gegner Grolmans in Gießen erwiesen.101 Seiner wenig bekannten, erst 1833 in seinem letzten Lebensjahr verfaßten 'Selbstbiographie' verdanken wir wichtige Aufschlüsse über die im letzten Moment abgewendeten Nachstellungen gegen seine Person im Zusammenhang mit der Affäre Greineisen:102

Zu dieser Zeit fieng die französische Revolution an, ihre verderblichen Wirkungen in Deutschland zu verbreiten, und zwar durch einen heimlichen gehässigen Meinungskrieg in den höheren Ständen, woraus dann Mißtrauen, Uneinigkeit und Gesellschafts-Zwiste hervorgingen, welche heimliches Angeben, sogenannte Jacobiner-Riecherei und Verfolgungen aller Art veranlaßten.

Wie weit damals diese Jacobinerwuth ging, und wie oft dieselbe zum Vorwand diente, um die unedlen Leidenschaften des Privathasses und der Rachsucht zu befriedigen, oder mit dem Untergange unschuldiger Menschen das eigene Emporsteigen zu befördern, und dabei noch den Dank des Vaterlands zu verdienen, daß man von einem angeblich gefährlichen Subjecte den Staat befreiet habe, davon mag nur 'ein einziges 'Beispiel hier stehen.

Ein gewisser Dr. juris 'Greineisen' kam von Jena nach Gießen zu seinem Schwager, einem dortigen Stadtbeamten, und wurde von demselben mir empfohlen, um mir bei meinen Schriftsteller-Arbeiten an die Hand zu gehen' 'durch Extrahiren aus Büchern, die ich damals zum Theil von dem Hofrath Heyne in Göttingen aus der dortigen Universitäts-Bibliothek zugesendet erhielt. Dr. 'Greineisen' war ein redlicher und geschickter Mann, aber schwächlich und empfindlich, auch ohne alles Aeußere; dabei vom Glück gar nicht begünstigt, deßhalb unzufrieden und schneidend in seinem Urtheil über viele Verfügungen in unseren Staaten, so wie über manche Staatsmänner, die freilich wohl tadelnswert seyn mochten. Dieß machte ihn vielen Vornehmen verhaßt, und bei servilen Schmeichlern gar verdächtig, wiewohl Dr. Greineisen nichts anderes sagte, als was andere kluge Männer nur dachten. Diese seine Unvorsichtigkeit benutzte nun ein bedeutender Staatsdiener in Gießen in dem Cabinet zu Darmstadt, um Dr. Greineisen zum Aufwiegler zu stempeln und sich dadurch eine Bahn zum Ministerium zu eröffnen.

Zu dem Ende 'denuncirte' Er, heimlich im Cabinet des Fürsten, den vorgenannten Dr. Greineisen als einen gefährlichen Jacobiner nicht allein, sondern schilderte denselben auch als einen Aufwiegler, der, durch seine aufrührerische Reden und Schmähungen gegen den 'Adel', Anlaß gäbe zu Unruhen, und der mit seinen (vermeintlichen) Mitschuldigen leicht das Volk zu einem Aufruhr verleiten könne, zumal mehrere Gießer Staatsdiener Freunde des Dr. Greineisen zu seyn schienen.

Audacter calumniare, interim aliquid haeret: - Dieß traf auch hier ein; die Denunciation wurde gut aufgenommen. Man fürchtete Unruhen, wiewohl ohne allen Grund: es war aber im Jahr 1795, wo die französische Revolution noch im Gange war, und der Krieg in Deutschland wüthete. Daher wurden die Anträge des Denuncianten sofort angenommen, und eine 'außerordentliche Commission' in Gießen niedergesetzt, die die Sache untersuchen, die Theilnehmer der Verschwörung ausmitteln und zu ihrer Bestrafung und Unschädlichmachung die geeigneten Vorschläge machen sollte.

Diese Commission bestand nun aus einem Professor Juris, einem Regierungsrath und einem Präsidenten, welcher Letztere der Denunciant selbst war. Ein Commissions-Secretär führte das Protocoll, welches täglich durch einen Husaren an den 'Fürsten unmittelbar' nach Darmstadt geschickt wurde.

Das Publicum in Gießen wurde dadurch allarmirt, da einige zwanzig Zeugen (nach Leistung eines 'fürchterlichen' Eides für ihre Verschwiegenheit) schon vernommen waren, und die bedeutendsten, wie man behauptete, noch zu vernehmen seyen.

Unterdessen besuchte ich die Ostermesse zu Frankfurt, und traf eines Tages auf dem ' Römer' den Prinzen Georg von Hessen aus Darmstadt, der mich ganz verwundert ansah, und halb bedenklich, halb scherzend frug: ob man mich nicht arretirt habe? oder ob ich vielleicht auf der Flucht begriffen sey? - Erstaunt frug ich, warum? - Der edelmüthige Prinz antwortete: ich stünde ja mit auf der Liste der Denuncirten in Gießen. Sein Herr Schwager, der regierende Landgraf sey ganz gegen mich eingenommen worden, und messe dieser fein eingefädelten Angeberei völligen Glauben bei.

Der Prinz rieth mir nun dringend, ohne Verzug mich nach Darmstadt zu begeben, und dem Landesfürsten die wahre Lage der Sache freimüthig darzulegen. Er bot mir zu dem Ende einen Platz in Seinem Wagen an, da er gegen Abend nach Darmstadt zurück reise, welches ich dankbar benutzte.

Am folgenden Tage meldete ich mich im Vorzimmer des Landgrafen, welcher mich zwar annahm, aber doch äußerst aufgebracht war, und von der Richtigkeit der Denunciation so sehr eingenommen zu seyn schien, daß es mir in diesem Augenblick nicht gelingen wollte, denselben von der Nichtigkeit der Verleumdung völlig zu überzeugen; doch machten meine freimüthigen und gegründeten Vorstellungen seinen Glauben in dieselbe schon merklich wankend, zumal da in den Protocollen von den ersten 20 Zeugen, noch 'Nichts' vorgekommen war, was die Aufwiegelung beweisen konnte.

Ich erbat mir indeß an demselben Tage durch meine Gönnerin, Fräulein von Bode, erste Hof-Dame der regierenden Frau Landgräfin, eine Privat-Audienz bei Höchstderselben, in welcher ich dieser geistreichen und höchst einsichtsvollen Fürstin den wahren Stand der Sache vorlegte, und den ganzen Plan der - mir wohl bekannten - falschen Denunciation entdeckte, und bis auf die feinsten Fäden das Geweben enthüllte, wodurch man die vorgespiegelte Gefahr einer bevorstehenden Rebellion zu motiviren suchte. Die scharfsinnige und hochherzige Fürstin erklärte darauf, daß sie mir vollkommen zutraue, die Wahrheit dargelegt zu haben (auch stimme alles mit anderen eingezogenen Nachrichten völlig überein), und sie werde jetzt dem ganzen Spiegelgefecht bald und auf einmal ein Ende machen, indem sie die ganze Sache bei der Tafel und bei Hofe 'lächerlich' machen werde; welches erprobte Mittel auch hier seinen Zweck nicht verfehlen würde. Den andern Tag solle ich das Weitere erfahren.

Am folgenden Abend erschien ein Hof-Cavalier in meinem Quartier, und berichtete mir auf Befehl der Frau Landgräfin: daß die bewußte Sache 'beendigt' sey, und ich ruhig nach Gießen zurückreisen könne; worauf er mir den ganzen Verlauf der Niederlage des (in Gießen sich befindenden) Denuncianten - öffentlich an fürstlicher Tafel, - als Augenzeuge erzählte.

Kaum war ich wieder in Gießen angekommen, so erhielt ich schon eine Citation von der obengenannten Commission, am folgenden Tage vor ihr zu erscheinen, als Zeuge. Ich war der Letzte, der verhört wurde, denn schon den Tag darauf traf der höchste Beschluß durch ein 'Cabinets-Rescript' ein, des Inhalts: 'Die Commission sogleich aufzuheben und den Dr. Greineisen' (der schon viele Wochen in Arrest gesessen hatte) 'sogleich auf freien Fuß zu stellen, weil bei der ganzen Untersuchung laut den 20 eingesandten Protocollen, auch gar nichts gegen denselben herausgekommen sey etc.'

Die äußerst 'betroffene Commission' stellte dagegen vor, daß man doch (wenigstens zur Ehre 'derselben') 'etwas' gegen den Dr. Greineisen verfügen möge, und den Grund dazu 'daher' nehmen könne, daß man in seinen Papieren einen Plan gefunden habe, woraus zu ersehen gewesen, daß Inculpat vor mehreren (10 bis 12) Jahren, wo er noch in Jena Studirte, einen neuen Orden habe stiften wollen, der aber 'nicht' zu Stande gekommen sey. 'Dafür' könne man ihn auch noch jetzt in Gießen mit der Relegation belegen !?!

Dieß wurde zugestanden, und das Ganze damit beendigt, daß man den unschuldigen Dr. Greineisen exilirte. Dieser ließ indeß, sobald er in Hamburg angelangt war, den ganzen Hergang der hier erzählten Untersuchung öffentlich drucken, nebst den Protocollen der Commission, welche er sich zu verschaffen gewußt hatte. Er schickte diese Schrift gerade in das Cabinet des regierenden Landgrafen von Hessen, und erhielt von Höchstdemselben eine gnädige Antwort, nebst der Wieder-Aufhebung der gegen ihn ausgesprochenen Relegation, und der huldreichen Erklärung: daß man seine Unschuld in der vorbemerkten Sache völlig anerkenne. 'Dieß Alles' ließ der Dr. Greineisen zu seiner 'öffentlichen' Rechtfertigung ebenfalls 'drucken'.'

'

Die Ausführungen Cromes werfen gleich auf mehrere Aspekte der Affäre Greineisen ein neues Licht und bestätigen bzw. vertiefen Greineisens Selbstdarstellung der Angelegenheit in seiner Rechtfertigungsschrift. So ist es Crome noch nach fast vierzigjährigem Abstand zu dem Geschehen wichtig, die ungewöhnliche Zusammensetzung der Untersuchungskommission hervorzuheben, die, wie wir gesehen haben, auf den von Grolman bei Gatzert im Dezember 1792 eingereichten Verfahrensvorschlägen beruhte. Weiterhin bestätigt Crome die Einschätzung Greineisens, daß das harte Vorgehen gegen seine Person die Absicht verfolgte, das gesamte Umfeld der Gießener Gegnerschaft Grolmans zu treffen und gegebenenfalls unschädlich zu machen. Im gleichen Atemzug wird die gesamte Vordergründigkeit des Vorwurfs der Ordensaktivitäten Greineisens, auf den sich die spätere Verurteilung reduzierte, schonungslos bloßgelegt.

Cromes Schilderung der Hintergründe für die sang- und klanglose Niederschlagung der gesamten Untersuchung gegen Greineisen, nämlich dadurch, daß die Landgräfin Grolman zu Hofe bei der Tafel lächerlich gemacht habe103, ist in der Forschung bisher nicht ernst genommen worden, weil sie, wenn man sie isoliert und für sich genommen betrachtet, allzu weithergeholt erscheint und den Eindruck erweckt, als müsse man sie eher der Eitelkeit eines hochbetagten Autobiographen zugutehalten. Denn auf welche Weise hätte denn die Landgräfin den Gießener Regierungsdirektor durch eine bloße Bemerkung bei Tisch so lächerlich machen können, daß der Landgraf, der den Denunziationen Grolmans doch so sehr Glauben schenkte, dazu veranlaßt werden konnte, eine vollkommene Kehrtwendung in der Sache vorzunehmen? Zwar führt Crome nicht im einzelnen aus, wie die Landgräfin dies bewerkstelligen konnte, aber die Hypothese sei gewagt, daß die von dem Universtätsrektor Müller in die Welt gesetzte Geschichte von der Existenz eines ominösen Päckchens mit Enthüllungsschriften über den Schwarzen Orden, das Grolman so sehr ins Schleudern gebracht hatte, daß er sogar den Landgrafen selbst als Mitglied des Illuminatenbundes bezichtigte, durchaus Stoff genug für ein solches Tischgespräch gewesen wäre. Voraussetzung wäre allerdings, daß die Landgräfin Kenntnis von dem Inhalt der Schreiben Grolmans an Gatzert gehabt hätte. Diese Möglichkeit scheint aber durchaus gegeben, insbesondere aufgrund der Schlüsselrolle, die der auch von Crome erwähnten Hofdame der Landgräfin, Caroline von Bodé, zukam, einer engen Freundin Gatzerts, Cromes und Knoblauchs, dessen Schwägerin sie auch war.

Schließlich sind die Bemerkungen Cromes im Nachhinein auch noch deshalb von besonderer Bedeutung, weil sie uns über den Inhalt der zweiten, inzwischen verschollenen Rechtfertigungsschrift104 Greineisens gegen Grolman unterrichten und die nachträgliche Rehabilitation Greineisens sowie die Aufhebung des gegen ihn verhängten Urteils durch den Landgrafen für die Nachwelt festhalten.

Kaum hatte Grolman Greineisen zähneknirschend ziehen lassen müssen, und noch ehe die Rechtfertigungsschrift seines ehemaligen Untersuchungsgefangenen erschienen war, hatte der Gießener Regierungsdirektor die nächste sich bietende Gelegenheit genutzt, um in einer vom 1. Juni 1795 datierten Stellungnahme im ersten Band der 'Eudämonia' in der Sache nachzukarten und das verhängte Urteil als eine aufgrund des eruierten Belastungsmaterials als die rechtmäßige Bestrafung eines überführten Delinquenten darzustellen:

Zwar war ein hiesiger verunglükter privat Docent, der mir von Person ganz unbekannt war, nicht wegen Illuminatismus, sondern wegen höchst unbesonnener Jakobinischer Reden, die im Publikum Aufsehen machten, in Untersuchung gerathen, und es entdekte sich nachher ein ganzes Nest von Studenten-Ordens-Sachen bey ihm, und daß er des scharfen Verbots ohngeachtet, einen solchen Orden hier und in Marburg geheget, und selbst noch einen Grad dazu machen wollen. Aber 'erst' 'kürzlich' hat er sein Urtheil erhalten, nach welchem ihm der erlittene Arrest zur Strafe angerechnet, und die Universitäts-Relegation, nach Inhalt des bekannten Reichs Gutachtens, der vorhandenen Landes- und akademischen Gesezze, und des mit andern Reichsständen getroffenen Vereins, zuerkannt, auch wirklich vollzogen worden. Auch in dieser Sache steht der eigentliche Denunciant in den Akten, und ausser mir war noch ein Mitglied der Regierung und ein Mitglied der Juristen-Fakultät zu Kommissarien vom Fürsten ernannt.105

Zu diesen Ausführungen hatte Grolman sich veranlaßt gesehen, weil er von einem anonymen Rezensenten der 'Allgemeinen deutschen Bibliothek' anläßlich einer Besprechung der Schrift 'Nöthiger Anhang' mit gewissen darin enthaltenen Äußerungen in Verbindung gebracht worden war und sich dagegen zu verwahren suchte. Der anonyme Rezensent hatte aber nicht nur den Prozeß gegen Greineisen ins Gespräch gebracht, sondern auch auf eine nicht näher spezifizierte Untersuchung gegen einen Universitätsprofessor rekurriert und Grolman damit in Zusammenhang gebracht. Auch in diesem Punkt sah der Regierungsdirektor sich genötigt, sich um eine Klarstellung zu bemühen, wie wohl der Wortlaut geeignet war, die Angelegenheit eher zu verschleiern denn aufzuhellen:

Was [...] gesagt wird, daß 'junge Leute, öffentliche Lehrer, als Ordensglieder, Fürsten-Feinde, Ausbreiter des Jakobinismus angeklagt, und' 'der Professor ... bald ein Opfer geworden wäre', kann auf mich nicht gezogen werden, da keine Untersuchung gegen einen Professor wegen des Jakobinismus bey der Regierung weder angestellt worden, noch in Ermanglung gegründeten Verdachts angestellt werden können. Es sind zwar seit verschiedenen Jahren, nicht gegen 'einen', sondern gegen drei Professoren Untersuchungen vorgewesen, die aber weder den Illuminatismus, noch den Jakobinismus, weder Ordens, noch andere Verbindungen gegen den Staat betroffen haben. Zwo davon wurden von den Kollegiis behandelt und von dem Fürsten im gewöhnlichen Gange entschieden. In der einen Sache bedurfte es keines Anklägers; in der andern hat sich der Denunciant öffentlich in den Akten genannt. Die dritte Sache wurde kommissarisch durch mich und einen Professor aus der Juristen Fakultät behandelt, und der Ankläger war der Reichsfiskal, als Bücher-Commissarius. Welcher von diesen drei Professoren soll es nun seyn, den die Schilderung enthält? Mehr von diesen Fällen will ich, wenn es nicht etwa gerechte Selbstvertheidigung erfordern sollte, nicht anführen, um die Ruhe schäzbarer Familien nicht zu stören.106

Nach den oben referierten Untersuchungsakten können wir zwei der drei von Grolman erwähnten Untersuchungen gegen Professoren der Gießener Universität zuordnen. So ist nämlich der Fall, in dem "sich der Denunciant öffentlich in den Akten genannt" hat, auf die Untersuchung gegen Werner wegen seiner 'Aetiologie' zu beziehen, die aufgrund einer unter der Federführung Grolmans eingereichten Anzeige der Gießener Regierung erfolgte, sowie der Fall, in dem "der Reichsfiskal, als Bücher-Commissarius", in Erscheinung getreten ist, auf den Prozeß gegen Krieger und Schmid wegen des Nachdrucks der 'Zwey seltenen antisupernaturalistischen Manuscripte'.107 Hinsichtlich der noch nachzutragenden dritten Sache, in der "es keines Anklägers" bedurfte, handelt es sich um einen langjährigen Streit Cromes mit der Universität um die Erstattung der ihm vorenthaltenen Naturalbesoldung, zu dessen endlicher Entscheidung Grolman von der Regierung in Darmstadt kommissarisch betraut worden war. Obwohl es bei dieser Angelegenheit vordergründig nur um eine finanzielle Streitigkeit zu gehen schien, hatte sie doch einen Hintergrund, den Grolman zu seinen Nachstellungen gegen seine politische Gegnerschaft in Gießen hätte nutzen können, wenn Crome nicht in dem Moment, in dem Grolman in die Sache eingeschaltet wurde, auf alle seine Forderungen verzichtend, klein beigegeben und sich mit einer Abfindung zu seinem Nachteil zufrieden gegeben hätte. Crome war zu diesem Schritt genötigt, weil er verhindern wollte, daß Grolman Kenntnis von dem Briefwechsel erhalte, den er während seiner Berufungsverhandlungen mit dem Kanzler der Universität Koch geführt hatte und aus dem ersichtlich geworden wäre, daß der Erzfeind Grolmans, der ehemalige Gießener Theologieprofessor Carl Friedrich Bahrdt, die Gießener Professur Cromes empfohlen und vermittelt hatte, ein Umstand, der Crome noch dazu deswegen hätte gefährlich werden können, als sein Name auch in den nach und nach publik werdenden Mitgliederlisten der Deutschen Union auftauchte.108

Um das Jahr 1795, in dem die 'Eudämonia' ihr Erscheinen begann, befand sich Grolmans literarische Karriere auf einem Höhepunkt, insofern man nämlich die in dieser Zeit veröffentlichten Arbeiten 'Die neuesten Arbeiten des Spartacus und Philo' (1793/94), 'Eine Rede über den Illuminaten-Orden' (1794),' Endliches Schicksal des Freymaurer-Ordens' (1794),109' Nachrichten von einem großen, aber unsichtbaren Bunde' (1796) und 'Des Freyherrn von Knigge Welt- und Menschenkenntniß' (1796) als die zentralen Werke in seiner politischen Schriftstellerei zu betrachten hat, die auch in der zeitgenössischen Publizistik am stärksten rezipiert wurden. Aus der Fülle der Reaktionen auf die in diesen Schriften geführte Kampagne gegen liberale Aufklärer und freiheitlich gesinnte Demokraten sei an dieser Stelle nur ein Beispiel herausgegriffen, das die sich selbst ad absurdum führende Doppelstrategie der Enthüllung und Verschleierung Grolmans in seiner ganzen Blöße an den Tag legte und das ihn zu seinem vielleicht skurrilsten Drahtseilakt herausfordern sollte. Die Rede ist von der 1795 [recte 1793] unter dem vermutlich fingierten Erscheinungsort Kassel anonym erschienenen Broschüre 'Nöthiger Anhang zu der jüngst erschienenen: Endliches Schicksal des Freymaurer-Ordens in einer Schlußrede gesprochen vom Br.*** vormals Redner der Loge zu *** am Tage ihrer Auflösung', deren damals noch unbekannter Verfasser Johann Jakob Wirz, ein ehemaliger schweizerischer Pfarrer in Zürich, war, der wegen unsittlicher Handlungen aus der Synode ausgeschlossen worden war. Dieser war durch eine Reihe von den von Grolman anonym veröffentlichten Schriften, vor allem durch das 'Endliche Schicksal' in einen solchen anti-illuminatischen Zelotismus verfallen, daß er in seiner Schrift alles daran setzte, in die gleiche Kerbe wie Grolman zu schlagen, ja womöglich die im 'Endlichen Schicksals' aufgedeckten Hintergründe einer angeblichen mächtigen Verschwörung noch durch weiteres Enthüllungsmaterial zu überbieten. Dieses geschah ohne Wissen Grolmans, und es entbehrt nicht der Ironie, daß Wirz zur Abrundung seiner Broschüre auch sein Halbwissen über die Versuche der Illuminaten, den Landgrafen von Hessen-Darmstadt in ihren Bann zu schlagen, der Öffentlichkeit unterbreitete. Die Verwirrung im Lager der Herausgeber der 'Eudämonia' war beträchtlich, wie der bereits zitierte Brief Grolmans vom 3. Januar 1794 an Wilhelm von Solms-Braunfels belegt. Die für Grolman absurde Ausgangssituation war nun also die, daß ein unberufener Parteigänger den Tenor seiner (Grolmans) Schriften dadurch zu vertiefen suchte, daß er die frühere Rolle Grolmans im Illuminatenorden als Beleg für die von Grolman behauptete Gefährlichkeit des angeblichen Weltverschwörungsbundes heranzog. Dabei warnte Wirz in einer pathetischen Ansprache an den Landgrafen diesen vor dem vermeintlich gefährlichen Illuminaten: "Dieser Illuminat bediente sich bey Dir eines teuflischen Mittels, um sein lastervolles Herz zu verschleyern. Um seinen Illuminatismus zu verstecken, klagte er andere der Democratie bey Dir an."110 Daß Wirz Grolman, ohne es zu wissen, damit einen Bärendienst erwiesen hatte, sollte sich bald herausstellen, als nämlich diese verworrene Situation nun noch dadurch verschärft wurde, daß der bereits erwähnte anonyme Rezensent des 'Endlichen Schicksals' in der 'Allgemeinen deutschen Bibliothek' nicht nur Wirz gegen Grolman ausspielen konnte, sondern auch Grolman namentlich als den von Wirz bezeichneten Illuminaten preisgab. Dieses war die Ausgangssituation für Grolmans 'Grade Erklärung eines Mannes ohne Maske' im ersten Band der 'Eudämonia', mit der er einerseits ein deutliches Signal an den ihm unbekannten Verfasser des 'Nöthigen Anhangs' aussendete, um sich so auf indirekte Weise den ungebetenen Feuerschutz zu verbitten, wobei er sich freilich nicht ganz sicher sein konnte, ob es sich bei der Schrift nicht um eine fein gegen ihn ausgeklügelte Intrige seiner politischen Gegner handelte. Andererseits versuchte Grolman in dem Aufsatz die für ihn brisante Lage dadurch abzumildern, daß er jegliche Nestbeschmutzung seines unmittelbaren Gießener Umfelds weit von sich wies, die Existenz von Mitgliedern des Illuminatenordens in Gießen rundheraus verneinte und die politische Dimension der in Gießen vorgefallenen Untersuchungsprozesse schlichtweg leugnete. Damit glaubte Grolman die Grundlage für sein zentrales Entlastungsargument geschaffen zu haben, daß nämlich der Verfasser des 'Nöthigen Anhangs' ihn gar nicht gemeint haben könne.

Die beiden Schriften riefen auch einen der unnachgiebigsten und von Grolman am meisten ernstzunehmenden Gegner auf den Plan, den revolutionären Demokraten und durch seine scharfzüngige politische Publizistik bekannten Schriftsteller Georg Friedrich Rebmann, der aus dem Lager der Herausgeber der 'Eudämonia' in ihrer Zeitschrift, meist im Zusammenhang mit der Affäre Greineisen, bereits mehrmals hart angegangen worden war111. In dem von Rebmann herausgegebenen politischen Journal 'Die Geißel' wurden das 'Endliche Schicksal' und der 'Nöthige Anhang' einer ausführlichen kritischen Würdigung unterzogen,112 und auch an verschiedenen anderen Stellen hatte Rebmann Grolman attackiert113. Mit dem 'Obscuranten-Almanach auf das Jahr 1798'114' 'sollte Rebmann allerdings alle bisherigen Angriffe gegen Grolman in den Schatten stellen, zumal er zur Illustration auch noch Kupfer anfertigen ließ, welche die Schärfe seiner Angriffe gegen Grolman zusätzlich verstärkten. Der Almanach eröffnete auf der Titelseite mit einem Doppelporträt Reichards und Grolmans, und enthielt außerdem eine Abbildung, auf der die persönliche Verhaftung Greineisens durch Grolman zu sehen war. Die Erläuterungen zu diesen beiden Kupfern waren dem Inhaltsverzeichnis unmittelbar angefügt:

1) (Titelkupfer) Das trübe Brüderpaar [Grolman und Reichard], welches hier im Doppelportrait erscheint, kann als personificirter Obskurantism überhaupt gelten, wie er nicht blos in 'Gotha' und 'Giesen', sondern auch anderwärts seine traurigen Werkzeuge aufstellt; Tücke verschwistert mit Dummheit ruht sichtbarlich auf Aug' und Mund; das Ganze gehüllt in finstermachende Wolken, aus denen hie und da eine Denunciantenschlange mit ausgestreckter Zunge hervorzischt und sticht.

5) Ideal eines Illuminatenriechers; Regierungsdirektor 'v. Grolmann', wie er als Ankläger, Richter und Häscher in einerley Prozeßsache den 'D. Greineisen' in Giesen über die Straße ins Gefängniß führt; auch zum Beweise, daß diesem Menschenschlage kein Subalterndienst zu gering sey, wenns darauf ankömmt zu verfolgen.

Es folgte der eigentliche Kalender mit dem Titel 'Neuer Licht- und Nachtkalender, mit neufränkischen und literarischen Tageszeichen', wobei, die Festtage der katholischen Namenspatrone parodierend, jedem Tag des Jahres ein in der literarischen Welt bekannter Schriftsteller zugeordnet und mit karikierenden Epitheta versehen wurde. Diese Zuordnung zu den einzelnen Jahrestagen richtete sich nach den Geburtstagen des jeweiligen Literaten, wobei die Geburtstage der Obskuranten, wie bei anderen Kalendern die Sonn- und Feiertage, durch Sperrdruck hervorgehoben waren. Unter dem Geburtstag Grolmans finden wir den Eintrag: "'15. Frimaire, Reifmonat. Wilde Sau - v. Grolman. 5. December.'" Auch im Textteil nehmen die Angriffe gegen Grolman einen breiten Raum in Anspruch, wobei Rebmann inhaltlich nicht über die bereits von Greineisen bekannt gemachten Umstände und Hintergründe hinausgeht.115

So sehr es sich Rebmann zu seinem Verdienst anrechnen kann, die skandalöse und schikanöse Behandlung Greineisens durch Grolman einem weiteren Personenkreis bekannt gemacht zu haben, so sehr ist es zu bedauern, daß durch breite Darstellung der Angelegenheit in seinem 'Obscuranten-Almanach' ein vermutlich kaum minder interessanter Bericht Friedrich Christian Laukhards verhindert wurde und wir heute mit den spärlichen Ausführungen vorlieb nehmen müssen, die er in den fünften Teil seiner Autobiographie einrückte. Laukhard war nämlich im fünften Band der 'Eudämonia' (1797), S. 552 f., auf eine hämische Weise abgekanzelt worden, wobei die im vierten seiner Autobiographie angekündigten Romane über die Machenschaften der französischen Emigranten in Deutschland sowie über die Thronenthebung des Rheingrafen Magnus von Grehweiler, einer Geschichte des Despotismus eines deutschen Duodezmonarchen, den Anlaß boten. Der anonyme Verfasser der Polemik gegen Laukhard hatte die Tatsache, daß ein Mensch wie er frei und ungekränkt sein Wesen öffentlich forttreiben dürfe, als Beweis dafür angeführt, daß es mit dem Despotismus in Deutschland ja nicht so weit her sein könne. Auf der S. 561 desselben Bandes der 'Eudämonia' fand sich zudem in einer Fußnote, die sich auf den damals unbekannten Verfasser des Obskuranten-Almanachs bezog, folgende zutiefst entehrende Sottise gegen Laukhard: "Eines solchen literarischen Straßenraubs sind nur 'Zigeunerseelen', wie 'Vollmer' selbst, und der noch verächtlichere Preussische Spion, 'Laukhard', fähig. Meines Erachtens ist der Büttel noch zu ehrlich, den Obscurantenkalender (und seinen Verfasser in effigie) zu verbrennen, und über so etwas ist eine Laukhardseele hinaus." Häme genug also, um Laukhard zu einer bissigen Replik im fünften Teil seiner Autobiographie zu veranlassen:

Mit den Eudämonisten hätte ich auch Händel bekommen, wenn mich die Verfasser des Obscuranten-Almanachs der Mühe nicht überhoben hätten, mit den jämmerlichen Kerlen Krieg zu führen. Ich hatte das Geschreibsel, Eudämonia genannt, noch nie gesehen, wohl hatte ich davon gehört und gelesen, und wußte aus den Nachrichten einsichtiger braver Männer, daß die Eudämonia unter den 'infamen Sudeleyen', welche zu unsrer Zeit Deutschland überschwemmen, einen vorzüglichen Platz verdient, und eben so wie andre grobe Pasquillen z. B. einige Skarteken von Göchhausen, Doctor Bahrdt mit der eisernen Stirne u. d. gl. den guten Namen braver Männer begeifert. Daß aber die fatalen 'Eudämoniashanswursten' auch meiner gedenken, und mich an ihren Pranger stellen würden, war mir nie eingefallen, bis ich endlich einen Brief ohne Anzeige des Ortes, wo er herkam und ohne Unterschrift erhielt, worin mir berichtet wurde, daß ich im zwölften Stück des Kloaks Eudämonia derb angegriffen und heruntergemacht sey. Ich wollte doch das Ding selbst nachsehen, hatte aber große Mühe, es zu erhalten, da das Gesudel im Preußischen ganz und gar keinen Abgang findet. Ich las und erstaunte, da mich die elenden Buben für einen Verbrecher erklären, den man in Effigie aufhängen müsse: die andern Titulaturen, welche sie mir gaben, z. B. den Preußischen Spion, Laukhardsseele, Propagandentrompeter, sansculottischer Großschreier u. d. gl. wollte ich ihnen gerne vergeben, aber wegen des Hängens in Effigie gedachte ich doch, ein Wort deutsch mit ihnen zu sprechen, aber der Obscurantenalmanach überhob mich dieser Mühe, und ich danke den Verfassern dieses Werks, daß sie den Eudämonisten statt meiner, geantwortet haben.116

Daß Laukhard es unterlassen hat, mit den Herausgebern der 'Eudämonia' "ein Wort deutsch zu sprechen", ist um so bedauerlicher, als er gerade über die Gießener Verhältnisse hervorragend informiert war. Denn nicht nur war er während seiner Studienzeit in Gießen, da er an den ersten Gießener Studentenauszügen maßgeblich beteiligt war und damals bereits mittelbar mit dem zu der seinerzeitigen Untersuchungskommission berufenen Grolman in Berührung gekommen war, mit den Interna der Gießener Gesellschaft vertraut, sondern er hatte sich auch im Sommer 1792, auf dem Höhepunkt der zweiten Phase politischer Unruhen in Gießen, die in der gleichzeitigen zweiten Blüte der Studentenorden ihren Niederschlag gefunden hatte, sich als preußischer Soldat auf dem Feldzug gegen das revolutionäre Frankreich zeitweise in Gießen aufgehalten. Darüber hinaus verfügte er über zahlreiche persönliche Kontakte nach Gießen, so daß er über den Lauf der Dinge in der oberhessischen Provinzhauptstadt laufend informiert war. Laukhard war überdies einer der ersten, die den Personenkreis der Herausgeber der 'Eudämonia' bekanntzumachen versuchte, wobei er sich auf die Mitteilungen des anonymen Briefstellers berief, der ihn auf die gegen ihn gerichtete Polemik in dieser Zeitschrift aufmerksam gemacht hatte. Da sich laut Laukhard auf der mitgelieferten Namensliste auch der Name Grolmans befunden hatte, widmet er dem Gießener Regierungspräsidenten ebenfalls einige Zeilen, die sich auf seine unrühmliche Rolle in der Affäre Greineisen beziehen: "Die That des Herrn von Grollmann zu Gießen an dem D. G[reineisen] wurde durch einen gewissen Exulanten in Ober- und Niedersachsen so verschrieen, daß gewiß die Kinder auf einen Mann weisen würden, der sich Grolmann nennt und diese Gegenden bereisen sollte."117

Nach der Besetzung Gießens durch die Franzosen, die vom Juli 1796 bis März 1799 andauerte, begannen sich die durch Grolmans Pamphlete aufgewirbelten Turbulenzen allmählich zu legen, und auch die archivalischen Quellen zu seiner biographischen und literarischen Laufbahn fließen für den folgenden Zeitraum spärlicher. Weder ist auszumachen, ob er sich während der Folgezeit in Gießen aufhielt, noch scheint er nach dem Ende der 'Eudämonia' im Jahr 1798 noch einmal etwas veröffentlicht zu haben. Die Tatsache, daß Grolman seine 'Kurze Erklärung über ungesittete Zudringlichkeiten' im dritten Band der 'Eudämonia' mit "Gießen den 29. Oct. 1796" datiert, kann m. E. nicht als Beleg für einen Aufenthalt Grolmans in Gießen nach der Besetzung der Stadt durch die französische Revolutionsarmee im Juli 1796 gewertet werden, zumal Grolman in demselben Aufsatz zur Kenntnis brachte, daß er das Archiv bei Annäherung der Franzosen vor Raub und Brand gerettet und mit von ihm bezahlten Fuhren in Sicherheit gebracht hatte.118 Auch wurden die Rückkehranträge der vor den Franzosen geflüchteten Gießener Bürger von dem Französischsprachmeister der Universität Thomas Chastel sorgfältig registriert, und es gibt keinen Hinweis darauf, daß Grolman sich um einen solchen Antrag bemüht hätte. Die Angelegenheiten der Stadt lagen während der französischen Kommandantur in den Händen seiner ehemaligen politischen Gegner, vor allem der Landkriegskommission, deren rührigstes Mitglied der Professor der Staatswissenschaften A. F. W. Crome war, und es fällt schwer zu glauben, daß Crome Grolman so ungeschoren hätte davonkommen lassen. Hubbertz hat für Grolmans letzte Lebensphase einige Ehrungen bzw. ehrenvolle Aufgaben zusammengetragen, die hier abschließend referiert werden sollen. Nachdem Grolman bereits 1786 mit der Thronbesteigung Friedrich Wilhelm II. den preußischen Briefadel119 verliehen bekommen hatte, beorderte der Landgraf, der inzwischen zum Großherzog avanciert war, ihn 1803 für eine Zeit nach Arnsberg, wo er die säkularisierten ehemaligen kurkölnischen Territorien des Herzogtums Westfalen in den hessischen Staatsverband einzugliedern hatte, wofür ihm im Jahr 1806, rückwirkend ab 1804, den Titel eines Wirklichen Geheimrates zuerkannt wurde. Grolman starb am 25. Dezember 1809.

2.7. Patriotismus oder konspirativer Egoismus?

Wirft man nun abschließend noch einmal einen Blick auf die ganze Bandbreite der injuriösen Polemik seiner gesamten politischen Schriften, der menschenverachtenden Skrupellosigkeit seiner Intrigen und die unerschütterliche Intoleranz seiner Repressalien so stellt sich die Frage nach der Motivation für das bemerkenswert hohe Maß an reaktionärer Energie Grolmans. Mehrere seiner Zeitgenossen, z. B. Greineisen, Crome und allem Anschein nach auch Gatzert sahen in ihm den ehrgeizigen Karrieristen, der zur Erreichung seines hochgesteckten Zieles, nämlich ein Ministeramt in Darmstadt bekleiden zu können, über Leichen zu gehen bereit war. Eine gewisse gekränkte Eitelkeit, beispielsweise aufgrund seiner durch Knigge erfahrenen Brüskierung während seiner aktiven Zeit im Illuminatenorden, wird man ebenfalls in Anschlag bringen dürfen. Zusammen mit seinem extrem ausgebildeten Ehrgeiz brachte diese gekränkte Eitelkeit jene Gemengelage persönlicher Motivation zustande, die Grolman so gefährlich für seine politischen Gegner werden ließ. Hinzu kam, daß die von Grolman eingefädelten und inszenierten Intrigen oft eine von ihm nicht mehr kontrollierbare Eigendynamik gewannen. Die heiklen Situationen, in die er sich so hineinmanövrierte, zwangen ihn des öfteren, die Flucht nach vorne anzutreten, wobei naturgemäß jegliche moderate Rücksichtnahme gegenüber seinen Gegnern und z. T. sogar seinen Freunden, inklusive seinen Logenbrüdern, auf der Strecke bleiben mußte.

Ein eigenständiges und gefestigtes konservatives Weltanschauungsmodell, dem Grolman seine Handlungsweisen untergeordnet hätte, scheint trotz des programmatiscchen Charakters einer Reihe seiner Schriften nicht vorhanden gewesen zu sein; denn allzu oft stehen private Äußerungen im krassen Widerspruch zu seinen öffentlich verkündeten Maximen, etwa wenn er im Brief an Zimmermann vom 6. Oktober 1794 zu erkennen gibt, daß er nicht an eine Beteiligung der Illuminaten an der Hervorbringung der Französischen Revolution glaube, während gerade dieser angebliche Nexus einer der Grundpfeiler der öffentlich vorgetragenen Polemik Grolmans darstellte.

Alles in allem fällt es auch schwer zu glauben, daß Grolman tatsächlich auf dem Boden der patriotischen Ethik gestanden haben soll, die mit dem Anruf an die konservativen Tugenden und angeblichen Hauptzüge des deutschen Nationalcharakters, nämlich Religiosität, Regentenliebe und Anhänglichkeit an Verfassung und Vaterland, in dem programmatischen 'Prospectus' der 'Eudämonia' beschworen worden war. Daß Grolman sich kaum auf dieser konservativen Plattform bewegte, zeigte sich vor allem immer dann, wenn er sich von seinem Unmut über die aus seiner Sicht nicht ausreichende Wirksamkeit seiner Schriften zur Belehrung der Fürsten echauffierte und sich durch die von ihm unterstellte Dummheit der Fürsten zu Handlungen bewogen fand, sich über den durch die Fürsten gesetzten Legalitätsrahmen hinwegzusetzen und notfalls gegen den Willen der Fürsten einzuschreiten. Dieser Widerspruch, die Ordnung durch ihre Außerkraftsetzung aufrecht erhalten zu wollen, ist bei Grolman spürbar ausgeprägt und keineswegs aufgelöst, ja vielleicht noch nicht einmal von ihm wahrgenommen worden. Durch Grolman erhielt die vermeintlich staatstreue 'Eudämonia' einen eigenmächtigen, potentiell auch zumindest gegen einzelne Regenten gerichteten konspirativen Anstrich, dessen Konsequenzen auf die Rezeption der Zeitschrift in den fürstlichen Regierungen ebenso noch zu klären wäre wie die im Zusammenhang mit der politischen Einordnung der 'Eudämonia' nicht uninteressante Frage nach den daraus möglicherweise resultierenden Meinungsverschiedenheiten und Differenzen innerhalb des Herausgeberkreises der Zeitschrift. Anzeichen für solche Komplikationen im Lager der "Eudämonisten" finden sich im Brief Grolmans an Zimmermann vom 6. Oktober 1794 und wären noch einer systematischen Analyse zu unterziehen.

 

59 Günter Mühlpfordt: Radikale Aufklärung und nationale Leseorganisation. Die Deutsche Union von Karl Friedrich Bahrdt. In: Otto Dann (Hrsg.): 'Lesegesellschaften und bürgerliche Emanzipation. Ein europäischer Vergleich.' München 1981, S. 103-122. Günter Mühlpfordt: Europapolitik im Duodezformat. Die internationale Geheimgesellschaft "Union". Ein radikalaufklärerischer Bund der Intelligenz (1786-1796). In Helmut Reinalter (Hrsg.): 'Freimaurer und Geheimbünde im 18. Jahrhundert in Mitteleuropa'. Frankfurt am Main 1983, S. 319-364.

60 Vgl. Krüger: Die Eudämonisten, S. 474 f. - Krüger zitiert hier lückenhaft eine Passage aus Grolmans Enthüllungsbrief an Zimmermann vom 6. Oktober 1794, wo er sich als Verfasser einer Reihe von Bahrdt betreffenden Aufsätzen bekennt, die er an Friedrich Wilhelm von Schütz zur Einrückung in dessen 'Archiv der Aufklärung und Schwärmerey' eingesandt haben will. Krüger hat allerdings die Passage herausgekürzt, die sich auf Bahrdt bezieht; der präzise Wortlaut lautet vielmehr: "Darüber brach nun 1789. die Franz. Revolution aus, als wir beide [Starck und Grolman] eben in Schwalbach den Brunnen genossen, u. so wie wir die erste Nachricht erhielten, sagte einer zum andern: das ist ein Werck der 44 [Illuminaten]. B. [Starck] hatte damals von einem von den 44. ausgetretenen u. durch sie ums Brod gekommenen sehr zuverlässigen Mann so viel Nachrichten erhalten, daß er jezt ganz anders dachte, als zu der Zeit, wo er seine Vertheidigung schrieb. Ich selbst gab damals noch die lezten Portionen heraus, und fing an heftiger gegen die 44. loszuschlagen. Wir verabredeten uns auser kleineren Flugschriften, auch in irgend ein Journal Nachrichten von den 44. zu bringen. Hierzu bot sich eine Gelegenheit von selbst dar, denn H. v. Schütz zu Altona requirirte B. um dergleichen Nachrichten zum Behuf seines Archivs der Aufklärung u. Schwärmerey. Dahin wanderten also mancherley Aufsäzze. Ich selbst nahm mir vor bey den vielen Materialien, die ich gesamlet hatte, Fragmente zum Leben des Ertzbösewichts Bahrdt zu liefern, u. da er auch 44. war, manches dahin gehörige anzubringen. Einige Stücke wurden auch wirklich abgedruckt; allein drey sehr wichtige Stücke, wovon ich kein Concept behalten, u. die just die Ausfälle auf Sie, würdigster Mann, betrafen wurden nicht abgedruckt." Hessisches Staatsarchiv Darmstadt. E 12, 108/1: Grolman-Nachlaß. Die von Otto Jacob und Ingrid Majewski erstellte Bahrdt-Bibliographie führt nur einen im 'Archiv der Schwärmerei und Aufklärung 'erschienenen,' 'kurzen Artikel mit Biographischem zu Bahrdt auf, und zwar im dritten Band (1788), S. 5-6. Vgl. Otto Jacob und Ingrid Majewski: 'Karl Friedrich Bahrdt: radikaler deutscher Aufklärer (25.8.1740-23.4.1792); Bibliographie.' Halle 1992, S. 12. - Ob es sich dabei tatsächlich um einen von Grolman verfaßten Artikel handeln könnte, konnte für die vorliegende Arbeit nicht mehr durch Autopsie überprüft werden. Grolmans Bemerkung, daß Schütz vermutlich zur Gegenpartei übergelaufen sei, erklärt sich daher, daß im Jahr 1786, als die Berliner Monatsschrift den Kryptokatholizismusstreit vom Zaune brach, neben dem ehemaligen Gießener, dann Leipziger Theologieprofessor Rosenmüller vor allem Schütz es war, der seinem damaligen Freund Starck eröffnete, daß dieser die Zielscheibe der in Berlin eingefädelten Intrige werden sollte. Vgl. Hessisches staatsarchiv Darmstadt: D 12, 43/50: Oberhofprediger v. Starck und Adoptivsohn. 1779-1816. 'Unterthänigst gehorsamste Anzeige' Starcks an das Ministerium vom 31. Juli 1786.

61 Vgl.: [Ludwig Adolph Christian von Grolman:] 'Nicolai, Gedike und Biester in gefälligen Portionen dem Publikum vorgesezt. Vierte Portion'. [Gießen] 1788, S. 109-114:
[S. 109:] Orest: Soll es denn wirklich erstlich dahin kommen, daß
[S. 110:] die Regenten, statt ihre Befehle vollzogen zu sehen, lauter Remonstrationen der 'conjurirten Philosophen' erhalten, die für die Wahrheit bewafnet sind.
Valerius: Völlig einverstanden mein Lieber! Sie werden wohl die Illuminaten verstanden wissen wollen. Mit denen geht es just so, wie die Zionswächter von den Jesuiten vorgeben, und es offenbart sich auch hier, daß ihr Orden ganz nach jesuitischen Maximen gebildet ist. Er ist aufgehoben; demohngeachtet wirkt er mehr als vorher. Noch ist ein genaues Zusammenhängen der Glieder, die standhaft blieben, unverkennbar, und es soll Orte geben, wo sie Novitzen annehmen. Gleich den Jesuiten, nach der Lehre der Zionswächter, haben sie eine neue Gesellschaft errichtet, die ihnen zur Decke dient, die sie dirigiren, und zu ihren Absichten brauchen.
Orest: Und die wäre?
Valerius: Die 'deutsche Union'. Schon zwey Schriftsteller haben es bekannt gemacht [Fußnote: Der Verfasser des Buchs über Starks Tonsur, seiner Gegner Scheermesser etc. S. 103 ff. und der Verfasser der Schrift: Das Recht der Fürsten über die Religion ihrer Unterthanen etc.] und da darf man ja wohl davon sprechen!
Orest: Ist's möglich, sollte das versteckter Illuminatismus sein?
Valerius: Nichts anderes lieber Freund! Lesen sie die beiden Schriften; ich bestätige die Warheit ihres Vortrags, denn ich habe die gedruckten Dinge in Händen, habe schon manche Klagen der Verführten
[S. 111:] gehört, und bin im Stande, die Nachrichten, die jene Schriften liefern, noch mehr zu berichtigen.
a) Der Anfang ist eine unschuldige Lesegesellschaft. Da werden aber die Bücher vorgelegt, welche die Obern empfehlen. Ihr Lesen und Verkauf wird befördert. Verhaßte Bücher werden vom Lesen und Verkauf entfernet.
b) Personen, die ihr Stand oder ihr gelehrter Ruf ansehnlich macht, werden mit Mühe gesucht. Natürlich folgt ihnen die Menge nach; und Prediger sind aus guten Ursachen auch willkommen. Fürsten und Minister aber, auch aus guten Ursachen, sind ganz ausgeschlossen.
c) Man bemächtigt sich der Journale und will am Ende ein eigenes schreiben, die Producte der Mitglieder anpreißen, andere aushuntzen. Man wirbt Buchhändler, und will einen eignen Buchhandel errichten. Welcher Journale man sich bereits versichert, wird man leicht beobachten können. Es sind grose Journale darunter; alle lallen gewönlich den Ton der A[llgemeinen] D[eutschen] Bibliothek nach. Zu Calbe im Halberstädtischen hat man wenigstens einen eigenen Buchhandel errichten wollen. Den ganzen Buchhandel will man an sich ziehen, und doch laufen Buchhändler blind zu, ohne zu bedenken, daß ihrer wenigstens ein Theil ruinirt werden soll, und sie unter eine weit ärgere Despotie verfallen, als Nicolai bisher über sie ausgeübt hat.
d) Es wird gesagt, die Maurerey habe doch kein Geheimniß, sie werde mißbraucht, und sey nun gar verdächtig gemacht. Nun kömmt Suspensa hedera; denn es heißt 'Aufklärung, ächte Religion' werde hier getrieben. Schön! wer will da nicht anbeißen!
e) So lange keine Lesegesellschaft errichtet werden kann, werden die Bücher auf der Post geschickt, wo man
[S. 112] das Porto tragen muß. Auch wird 1 Rthlr. zur Entrée gezahlt, und ohnerachtet versichert wird, daß die Gesellschaft kein Geld nehme, sind doch schon an einigen Orten beträchtliche Nachforderungen geschehen.
f) Hinter dieser Lesegesellschaft steckt nun die Union, wozu vermittelst eines schriftlichen Eides aufgeklärte geprüfte Glieder genommen werden, deren eben nicht viele sind, die aber Verstand und Ansehen genug haben, den übrigen Layen Geschmack an den Schriften beyzubringen, die gelesen werden sollen, sie zu den Grundsätzen empfänglich zu machen, die nach und nach unter ihnen zu verbreiten die Absicht ist.
g) Das Oberhaupt der Union ist nun der Exdoktor der Theologie, modo Schulmeister zu Gibeon, nunc Kaffewirth zu Bassenheim bey Halle, 'Bahrdt', womit eben kein großes geheimniß getrieben wird; im Hintergrunde, aber ziemlich verdeckt, steht Vater 'Weishaupt', und die dem System treu gebliebene Illuminaten dirigiren wieder auf unsichtbare Weise die Union. Es sind also eigentlich drey Classen die in einander greifen, ohne von einander zu wissen. Die Lesegesellschaften werden von der Union - und diese von dem heimlichen Illuminatismus beherrschet.
Orest: Wie, auch 'Bahrdt' sollte Illuminat seyn?
Valerius: Daran ist kein Zweifel. Selbst 'Philo' [Knigge] [Anm.: Philos endliche Erklärung und Antwort S. 132 oben] hat das entdeckt, und es war ohnehin schon bekannt. Und daß die Illuminaten hinter der Union stecken, dafür spricht die Sache selbst und ihre ganze Einrichtung. Vater 'Weishaupt' ist auch selbst an verschiedenen Orten heimlich herumgereiset, hat die Anstalten besehen, und die Brüder gestärket. Unglaublich
[S. 113] ist es, wie auf einmal eine solche Menge Menschen zusammengetrieben werden können. An kleinen Orten sind wohl 40 Menschen in der Lesegesellschaft, und an gröseren 100. 180 und mehrere. Auch die treflichsten Köpfe merkten es nicht und liesen sich hineinschwatzen. Ehemals suchte sich der Illuminatismus seine Pflanzschule in den Logen zu errichten, und die Maurerey zu unterjochen; nun ist der Plan auf weit zahlreichere Gesellschaften - auf das ganze menschliche Geschlecht gelegt. Selbst 'Philo' sagte schon [Anm.: Endliche Erklärung S. 81.], daß zu seiner Zeit die 'Gewalt des Ordens fürchterlich zu werden' angefangen habe; welchen Begriff soll man sich jetzt davon machen, da ihr Wirkungskreiß natürlicherweise so sehr erweitert seyn muß. Unbegreiflich ist es warlich, daß Fürsten und Minister stille sitzen, als wenn sie nicht sähen, was um ihnen vorgeht. Kaum sind es 15 Jahre, daß der erste Keim zu dieser Gesellschaft gelegt ward, und schon ist sie zu einer kolossalischen Größe angewachsen, wogegen die sogenannte Universalmonarchie der Jesuiten nichts ist. Bey ihr trifft völlig ein, was man von dem Jesuitenorden sagt, daß die Vorbereitungen auf Unglücksfälle schon in ihre Verfassung gelegt sind. Was ist der Jesuitenorden nach seiner Aufhebung? warlich nichts als ein Auszehrender der mit dem Tode ringet. Aber der Illuminatismus ist nach seiner Entdeckung und scheinbaren Aufhebung, weit herrlicher hervorgegangen, und unter dem Namen der 'deutschen Union' zu einer weit größeren und bedenklichern Wirksamkeit gelanget. Nehmt es doch zu Herzen Herrscher des Volks! Ist die Erhaltung der christlichen Religion kein kräftiger Antrieb mehr, euch von dem Polster der
[S. 114] Sicherheit zu erwecken - - nun so sey es denn die Sorge für euer eigenes Ansehen und eure Würde; denn man will eure Unterthanen mündig, euch selbst aber 'unmündig, entbehrlich', höchstens zu Maschienen machen. Und ihr, Ministers, sagt euch eure Pflicht hier nichts? - - nun so mach euch eure Sicherheit thätig gegen eine Verbindung, die euch zu Figuranten machen will.
[Nachdem Nicolai, Gedike und Biester als der Union zugehörig gemutmaßt worden sind, endet die Portion mit den Worten von Valerius:] Bekanntlich aber war es eine Hauptmaxime der Illuminaten, sich der Dienstbesetzungen zu versichern, und von der Union weiß man wenigstens bereits so viel, daß sie 'Hofmeisterstellen' und ' Sekretariate' vergeben, und sonst im Stillen an den Höfen wirken wollen.

62 Benjamin Minnigerode war der Großvater des Freundes und Mitstreiters Georg Büchners Karl Minnigerode, der mit einem Stapel frischgedruckter Exemplare des 'Hessischen Landboten' am Gießener Selterstor verhaftet wurde und sich den Nachstellungen und berüchtigten Verhören des Untersuchungsrichters Georgi aussetzen mußte. Georgi, der vor allem dadurch eine traurige Berühmtheit erlangte, daß er den hessischen Vormärzdemokraten Friedrich Ludwig Weidig zu einem unter ungeklärten Umständen vollzogenen Selbstmord während der Untersuchungshaft trieb, erinnert in der fanatischen Konsequenz der Strafverfolgung politisch mißliebiger Regimegegner in frappanter Weise an seinen Gießener Altvorderen L. A. C. von Grolman; eine Studie über die Geschichte der Verfolgung politisch Oppositioneller in Hessen-Darmstadt, die Rückschlüsse über Zusammenhänge zwischen dem reaktionären Obskurantismus zur Zeit der Französischen Revolution und der Unterdrückung der Freiheits- und Demokratiebestrebungen des hessischen Vormärz erlauben würde, steht aber noch aus. Entsprechendes gilt für die in der einschlägigen Literatur gelegentlich vermutete, nie aber wirklich erforschte Kontinuität, die zwischen dem von Grolman zur Zeit der Französischen Revolution verfolgten 'schwarzen Orden' und den sogenannten 'Gießener Schwarzen' unter der Leitung Karl Follens nach dem Zusammenbruch des Rheinbundes bestanden zu haben scheint.

63 Zur politischen Bedeutung der Landstände in Hessen-Darmstadt vgl. Bernhard Rieger: 'Die Hessen-Darmstädtischen Landstände und der Absolutismus'. Diss. Darmstadt 1894.

64 Eckhart G. Franz: Hessen-Darmstadt, Kurmainz und die Französische Revolution. In: 'Hessisches Jahrbuch für Landesgeschichte' 40 (1990), S. 125-143, hier S. 129. - Vgl. auch G[ustav] Paul: Eine Alsfelder Episode aus dem Kampf der hessen-darmstädtischen Stände gegen den Absolutismus im Revolutionsjahr 1789. In: 'Festschrift zur 700-Jahrfeier der Stadt Alsfeld'. Alsfeld 1922, S. 21-32.

65 Während im Falle des politisch motivierten Selbstmords Minnigerodes Grolman aus nicht geklärten Rücksichten heraus eher zurückhaltend und mäßigend agierte, berichten Greineisen und Rebmann von restriktiven Initiativen Grolmans für den Zeitraum um 1789. Da sich auch in anderen Fällen die Bemerkungen Greineisens als zutreffend und eher noch als untertrieben denn übertrieben erwiesen haben, etwa im Falle von Grolmans Verfasserschaft der 'Nachrichten von einem unsichtbaren Bund' oder' 'des Aetiologieprozesses gegen Werner, sehe ich keinen Grund, an diesen Hinweisen Greineisens zu zweifeln.

66 Hessisches Staatsarchiv Darmstadt. E 12, 108/1: Grolman-Nachlaß. Konzept eines Briefes Ludwig Adolf Christian von Grolmans an den Universitätskurator und Minister Christian Hartmann Samuel von Gatzert in Darmstadt vom 15. 11. 1791.

67 Hessisches Staatsarchiv Darmstadt. E 12, 108/1: Grolman-Nachlaß. Schreiben Christian Hartmann Samuel von Gatzerts an Grolman vom 12. Dezember 1791.

68 Im weiteren Verlauf der Korrespondenz spielte dieses Päckchen übrigens keine Rolle mehr. Man muß daher wohl davon ausgehen, daß der Rektor Karl Wilhelm Christian Müller mit seiner diesbezüglichen Bemerkung gegenüber dem Professor Schalck Grolman absichtlich oder unwissentlich einen diabolischen Streich gespielt hat.

69 Hessisches Staatsarchiv Darmstadt. E 12, 108/1: Grolman-Nachlaß. Konzept eines Briefes Ludwig Adolf Christian von Grolmans an den Universitätskurator und Minister Christian Hartmann Samuel von Gatzert in Darmstadt vom 20. 12. 1791.

70 Hessisches Staatsarchiv Darmstadt. E 12, 108/1: Grolman-Nachlaß. Brief von Grolman an Zimmermann vom 6. Oktober 1794.

71 Hessisches Staatsarchiv Darmstadt. E 12, 108/1: Grolman-Nachlaß. Disposition eines Gesprächs zwischen Grolman und Gatzert ca. 8. März 1792 in Frankfurt, undatiert.

72 Hessisches Staatsarchiv Darmstadt. E 12, 108/1: Grolman-Nachlaß. Brief Gatzerts an Grolman vom 9. März 1792.

73 Hessisches Staatsarchiv Darmstadt. E 12, 108/1: Grolman-Nachlaß. Brief Starcks an Grolman vom 12. März 1792.

74 Hessisches Staatsarchiv Darmstadt. E 12, 108/1: Grolman-Nachlaß. Anfang eines Briefkonzepts Grolmans an Gatzert vom 14. März 1792. Der Brief enthält weitere drei Bogen, die sich auf hier weniger interessierende Details beziehen.

75 Franz: Hessen-Darmstadt, Kurmainz und die Französische Revolution, S.137.

76 Hessisches Staatsarchiv Darmstadt Abt. E 1 C Nr. 41/5. Auszüge aus dem Gießener Bericht, dem ein Extrakt der inkriminierten, in Straßburg gedruckten Zeitung beilag, sowie aus der daraus resultierenden Kabinettsvorlage und dem daraufhin erlassenen Ausschreiben an die Regierungen und Konsistorien in Darmstadt und Gießen zitiert bei Franz: Hessen-Darmstadt, Kurmainz und die Französische Revolution, S. 137.

77 Universitätsarchiv Gießen Allg. 793. Nr. 54.

78 Mit den Zensurproblemen der Gießener Buchhändler befaßt sich in einem eigenen Kapitel die soeben eingereichte und noch unveröffentlichte Gießener Dissertation von Christine Haug: Das Verlagsunternehmen Johann Christian Konrad Krieger. Die Bedeutung des Buchhändlers, Verlegers und Leihbibliothekars Johann Christian Konrad Krieger für die Entstehung eines regionalen Buchmarkts und einer Lesekultur in Hessen um 1800.

79 Hessisches Staatsarchiv Darmstadt. E 12, 108/1: Grolman-Nachlaß. Konzept eines Briefes Grolmans an den Konsistorialdirektor von Lehmann in Darmstadt

80 Der archivalische Befund belegt überdies zum wiederholten Mal, daß Greineisen sehr gut unterrichtet war und seine Hintergrundanalysen keineswegs als ungegründete Übertreibungen eines Grolman-Opfers zu interpretieren sind. Vgl. die Einleitung seiner Rechtfertigungsschrift S. XV: "Eine Gesellschaft von dasigen Gelehrten vereinigten sich miteinander, wöchentlich einmal an einem dritten Ort sich zu versammeln, über litterärische Gegenstände sich zu unterreden und die von Einem oder Andern entworfene Abhandlung über gemeinnützige Gegenstände der Kritic der übrigen Mitglieder zu unterwerfen. Kaum dauerten diese Zusammenkünfte einige Zeit; so geschah von 'Giesen' aus die Delation an Hofe, daß einer von den Mitgliedern - ein 'entschiedener redlicher' Staatsbürger - in der Versammlung eine Abhandlung vorgelesen habe, welche vollgepfropft von aufrührerischen Sätzen gewesen sey, und daß überdies diese Gesellschaft mit den 'Mainzischen' Gelehrten in Verbindung stünde. Von Hof aus wurde also diese Gesellschaft sogleich untersagt und auf das Schärfste das ihr zur Last gelegte gerüget, ohne daß man, wie es der Natur der Sache angemessen war, vorher hätte untersuchen müssen: ob diese 'Angeberey' sich auf Wahrheit gründete oder falsch sey."

81 Einen ähnlichen Fall vorauseilenden Gehorsams in Grolmans Amtsführung als Konsistorialdirektor schildert Greineisen in der Einleitung zu seiner Verteidigungsschrift. Als beim Regierungsantritt Ludwig X. Teile der hessen-darmstädtischen Geistlichkeit auf dem Gnadenwege die Befreiung von einer gewissen Abgabe an die Invalidenkasse erbitten wollte und hierzu einer Unterschriftenliste kursieren ließ. "Die Vorstellung," so berichtet der damalige Gießener Privatdozent der Rechte, "verfaßt in den respectvollsten Ausdrücken, gelangte an Hofe. Kaum hatte man diesen unverfänglichen Schritt gethan; so erging in einer Schnelle, als wenn dem Lande die äußerste Gefahr drohte - Risum teneatis amici [Möget ihr das Lächeln zurückhalten, Freunde.] - ein strenger Befehl: daß alsogleich, die oben erwähnte Verhandlung der Geistlichkeit unter sich, der Landesregierung solle eingeschickt werden. Es geschah. Der Erfolg war, daß diejenigen Inspectoren, welche zu diesem 'abscheulichen' Verbrechen (einem Regenten nemlich 'unterthänigste Vorstellung' zu thun) Anlaß gegeben hätten, vor das Consistorium in 'Giesen' vorgeladen, ihnen daselbst dies angeblich 'rebellische' Betragen, gegen ihre von Gott vorgesetzte Obrigkeit ernstlich verwiesen, und überdies Jeder noch mit einer ansehnlichen Geldesstrafe beleget wurde." [Johann Ludwig Justus Greineisen:] 'Eine Geschichte politischer Verketzerungssucht, in Deutschland, im letzten Jahrzehend des 18ten Jahrhunderts. Ein Beytrag zur Geschichte des Aristokratism in den Hessen-Darmstädtischen Landen, und der dasigen Obscuranten. Nebst einigen Aufschlüssen über die ehemalige Verbindung des Regierungs-Directors von Grolman zu Giesen, mit dem Illuminaten-Orden.' Deutschland [Altona] 1796, S. VI. Eine archivalische Überprüfung der schikanösen Amtsführung Grolmans ist für die vorliegende Arbeit weder im Falle der Butzbacher Schullehrer noch im Falle des Zirkulars der Geistlichkeit möglich gewesen.

82 Georg Friedrich Werner: 'Versuch einer allgemeinen Aetiologie'. Gießen 1792. Aetiologie ist für Werner die eine große Wissenschaft, welche die Trennung zwischen Metaphysik und Physik aufhebt, in der alle Wesen der Welt, Mensch und Materie, in eine Klasse zusammenfließen. Den Begriff 'Aetiologie' (Ursachenlehre) verwendet der Verfasser in Verwerfung einer zuvor von ihm als Bezeichnung für sein System erwogenen philosophischen Naturlehre, worunter Werner die Ergründung aller auf sich selbst und aufeinander wirkenden Wesen, einschließlich der Materie, versteht. Diese Wissenschaft ist anti-idealistisch geprägt, wobei Werner keine geringere als die Kantische Philosophie umzustoßen sich vornimmt, und gründet auf einer materialistischen Wahrnehmungs- und Empfindungslehre; sie ist "die Lehre von den ersten Ursachen aller wahrnehmbaren Dinge und ihrer Veränderungen" (Einleitung, S. XXII.I). Die bis dato eingeschlagenen Wege der Entwicklung philosophischer, physikalischer und moralischer Systeme sind für Werner nichts weiter als "Kunstwerke des menschlichen Scharfsinnes" und "Hypothesengewebe" (Einleitung, S. XXVII.I), die "als Raritäten in einem Raritätenkabinett abgelegt und aufbewahrt zu werden verdienen" (Einleitung, S. XXVI). Aus dem Ton der Einleitung, dem selbstbewußten Auftreten und der schlagenden Metaphorik Werners, wird deutlich, wie sehr er sich auf philosophischem Neuland zu bewegen wähnte (z. B. Häufung von Reisemetaphern), und daß er sich als treibende Kraft in Zeiten der politischen und wissenschaftlichen Revolution versteht. Dabei greift er das Lager der Obskuranten auf der einen Seite nicht minder heftig an als die Verfechter einer Aufklärung der reinen Vernunft auf der anderen. Das Werk ist, abgesehen von dem Prozeß, den es ihm einbrachte, ohne Wirkung geblieben und ist nicht einmal von der einschlägigen Historiographie des Atheismus und Materialismus rezipiert worden, ein Schicksal, das Werner im übrigen mit seinem engen Freund Karl von Knoblauch, dem Dillenburger Justizrat und Verfechter einer materialistisch fundierten Antitaumaturgie und Mythologiekritik, teilt.

83 Hessisches Staatsarchiv Darmstadt. E 6 B, Abt. VI,1 Gießen, Konv. 27: Untersuchung gegen Prof. Werner wegen seiner Aetiologie 1792 ff. Fürstlicher Regierung zu Gießen Unterthänigster Bericht. Eine bedenkliche Stelle in des Professor Werners Ätiologie betrefend. Gießen, d. 19. Mai 1792. Unterzeichner: Grolman, Buff, v. Buri, Benner, Krug, Koch, Schwabe.

84 Hessisches Staatsarchiv Darmstadt. E 6 B, Abt. VI,1 Gießen, Konv. 27: Untersuchung gegen Prof. Werner wegen seiner Aetiologie 1792 ff. Schreiben Werners an den Landgrafen vom 23. Mai 1792.

85 Im Falle von Johann Daniel Heinrich Musäus bestanden auch familiäre Bande zu der Familie Grolman, denn er war mit Johannette Charlotte Henriette Friederike Grolman (1750-1794), einer nahen Verwandten L. A. C. Grolmans, verheiratet.

86 Hessisches Staatsarchiv Darmstadt. E 6 B, Abt. VI,1 Gießen, Konv. 27: Untersuchung gegen Prof. Werner wegen seiner Aetiologie 1792 ff. Untertänigster Bericht Johann Heinrich Musäus' vom 22. Juli 1792.

87 Hessisches Staatsarchiv Darmstadt. E 6 B, Abt. VI,1 Gießen, Konv. 27: Untersuchung gegen Prof. Werner wegen seiner Aetiologie 1792 ff. Annotation des Landgrafen vom 12. Mai 1793 auf einem undatierten und unsignierten Ministerialbericht [ca. Ende April, Anfang Mai].

88 Hessisches Staatsarchiv Darmstadt. E 6 B, Abt. VI,1 Gießen, Konv. 27: Untersuchung gegen Prof. Werner wegen seiner Aetiologie 1792 ff. Bericht der Dillenburger Regierung über die Vernehmlassung (eidliche Abhörung) Karl von Knoblauchs; Abschrift als Beilage (Lit. D.) zum Universitätsbericht an den Landgrafen:
Dillenburg den 19ten Febr. 1794
bey fürstlicher Justiz Canzley
In Gegenwart
des Herrn OberAppellations Raths von
Bierbrauer
die eydliche Vernehmung des Herrn Justiz und Bergraths von Knoblauch, wegen eines in dem lezten vorjahrigen Stück der Monaths-Schrift Minerva eingerückten Aufsatzes über die von dem Herrn Professor der Militärischen Wissenschaften Werner in Gießen herausgegebene Aetiologie betr.
Nachdem bey hiesiger Fürstl. Justiz Canzley ein Requisitions Schreiben der Universität zu Gießen vom 13ten dieses eingelaufen war, des Inhalts, den fürstlichen Oranien Nassauischen Herrn Justiz und Bergrath von Knoblauch wegen eines in des von Archenholz. Monatsschrift Minerva, im lezten Stück vorigen Jahres enthaltenen Aufsatzes über die von dem Herrn Professor Werner in Gießen herausgegebene Aetiologie, mit welchem auf die von Mitgliedern der dasigen Universität erstattaten Vota particularia und mehrerer dahin einschlagende Aktenstücke abgedruckt worden, eydlich über nachfolgende Punkte:

1) Ob er der seye, der den bewußten Aufsatz, zum Einrücken in die Minerva oder sonst, eingeschickt habe? Ob er dieses aus eigenem Antriebe, oder auf jemands und wessen Veranlassung gethan?
2) Von wem er dazu die Nachrichten erhalten? Ob vom Professor Werner allein, oder auch von andern?
3) Von wessen Hand solche gewesen?
4) Ob er die erhaltenen schriftlichen Nachrichten noch besitze?

eydlich zu vernehmen, und wenn er die lezte Frage bejahen sollte, die von dortaus erhaltenen Papiere und Nachrichten ihn aushändigen zu lassen, und solche nebst dem abgehaltenen Protocoll, an sie mitzutheilen, und fürstl. Justiz Canzley hierzu dem Herrn OberAppellations Rath von Bierbrauer, den erforderlichen besondern Auftrag ertheilt hatte; so verfügte sich der Herr Commissarius nebst mir dem Unterzeichneten zu dem damalen sich unpäßlich befindenden Herrn Justiz und Bergrath von Knoblauch in dessen Wohnung, eröffnete demselben das erhaltene Commissarium, woraus derselbe erklärte, daß er so willig als schuldig sey, seine Wissenschaft von der vorliegenden Sache eydlich zu deponiren.
Derselbe gab hierauf, auf die an ihn gethane Fragen, zu vernehmen und zwar Ja! Er habe den Aufsatz, übr deb vorbemerkten Gegenstand, an den von Archenholz eingesendet.
Es sey solches aus eignem Antrieb, und nicht auf das ausdrückliche Verlangen des Herrn Professor Werner geschehen.
Folgende Gründe hätten ihn dazu bewogen:
1) Weil Herr Professor Werner sein intimer Freund sey, dem durch das von der Universität zu Gießen ergangene Verbot des Verkaufs der Aetiologie, so wie auch seinem Verleger, ein Schaden von mehreren 100 Rthl. zugefügt worden wäre.
2) Gleich nach der Erscheinung dieses Verbots, wäre dasselbe von allen Stimmen, die in der gelehrten Welt von einigem Gewicht wären, laut gemisbilliget worden.
3) Wäre das Vergnügen des Herrn Professor Werners, so wohl als sein eignes, über die weise Entscheidung, die des Herrn Landgrafen von Hessen Darmstadt Durchlaucht, zum Vortheil des Herrn Professor Werner ertheilet hätten, so gros gewesen, daß er Herr Deponent geglaubt habe, es würde dem lesenden Theil des Publicums angenehm seyn, ebenfalls daran Theil nehmen zu können. Endlich
4) So sehr er auch für das Collegialische Geheimnis Achtung hätte; so wären doch Vota in dem vorliegenden Fall offenbar nichts anders als privat Urtheile einzelner Gelehrter über den Inhalt eines philosophischen Buchs; und da diese Urtheile keine Staats Geheimnisse wären, so könnte auch deren Bekanntmachung kein Verbrechen seyn.


ad 2) Vom Herrn Professor Werner habe er nichts weiter erhalten, als 1) das Rescript der Universität zu Gießen an den Herrn Professor Werner
2) das für den Herrn Professor Werner sehr vortheilhafte Votum, des kürzlich nach Jena abgegangenen Herrn Prof. Schmidt, welches der Herr Professor Werner von diesem selbst erhalten hätte.
3) die Erklärung die der Herr Professor Werner auf das an ihn ergangene Rescript der Universität abgegeben hätte.
4) Das Höchste Absolutions Decret des Herrn Landgrafen zu Darmstadt.

Die übrigen particular Vota habe er nie Schriftlich und in extenso weder von Herrn Professor Werner, noch sonst jemand erhalten, sondern das wenige was er davon in der Minerva angeführt, hätte er aus zerstreuten theils mündlichen theils schriftlichen Aeußerungen des Herrn Professors Werner und aus mündlichen Gesprächen die im Gießer Publicum, während seines lezten Aufenthalts daselbst vorgefallen wären gesammelt, wobey er noch bemerken müsse, daß Herr Professor Werner ihm nicht ausdrücklich den Auftrag zur öffentlichen Bekanntmachung jener Aeußerungen gegeben habe, daß jedoch der Inhalt der abgestatteten Votorum damals so wenig in Gießen ein Geheimnis gewesen sey, daß fast jedermann davon geredet habe.

ad 3) Er beziehe sich auf seine Aussage zum zweyten Punct. - Vota particularia habe er in extenso nicht eingerückt, außer dem Voto des Herrn Professor Schmidt, welches dieser dem Herrn Professor Werner selbst communiciret hätte.

ad 4) Er besitze dergleichen Papiere nicht, sondern habe wie er schon bemerkt, solche theils aus mündlichen, theils aus schriftlichen Nachrichten, welche leztere in Briefen über andere Gegenstände, zu deren Aufbewahrung er keine Ursache gehabt, zerstreut gewesen wären, gesammelt. Er sey also nicht im Stand dergleichen Papiere abzuliefern.

Nachdem nun diese Deposition dem Herrn Deponenten vorgelesen, von ihm als richtig anerkannt, und dabey auf Befragen des Herrn Commissarii versichert worden, daß er solche mit gutem Gewissen beschwören könne, und wolle, so legte derselbe mit aufgerichteten Fingern, über die Richtigkeit seiner Aussage folgenden Eyd ab:
"Ich Carl von Knoblauch schwöre einen leiblichen Eyd zu Gott dem Allmächtigen, daß die Aussage, welche ich zu Protocoll gegeben und mir vorgelesen worden der Wahrheit gemäs sey, so wahr mir Gott helfe, durch Jesum Christum meinen Erlöser"
ab und wurde damit das Geschäft geendigt.
Diesem nächst bat Herr Deponent annoch ihm Abschrift des abgehaltenen Protocolls so wie des von der Universität Gießen erlassenen Requisitions Schreibens zu ertheilen, welches ebenfalls hierher bemerkt wurde.

Karl Otto Philipp Lorsbach

89 Hessisches Staatsarchiv Darmstadt. E 6 B, Abt. VI,1 Gießen, Konv. 27: Untersuchung gegen Prof. Werner wegen seiner Aetiologie 1792 ff. Schreiben Werners an den Landgrafen vom 23. April 1794.

90 Hessisches Staatsarchiv Darmstadt. E 6 B, Abt. VI,1 Gießen, Konv. 27: Untersuchung gegen Prof. Werner wegen seiner Aetiologie 1792 ff. Bedenken der Gießener Regierung vom 20. September 1794.

91 So wurde Schmid, wie bereits erwähnt, nach seiner Vertreibung aus Gießen wegen der Knoblauchschen Veröffentlichung der Gießener Partikularvoten im Fall Werner in der 'Minerva' noch in Jena eidlich verhört. Innerhalb der einzelnen Partikularvoten wurde zudem bereits gelegentlich ein Vergleich zwischen 'Aetiologie' Werners und den von Schmid herausgegebenen beiden antisupernaturalistischen Schriften gezogen. Auch Greineisen diskutiert die beiden Fälle im Zusammenhang. Greineisen: Verketzerungssucht, S. XX.

92 Christine Haug: Das Verlagsunternehmen Johann Christian Konrad Krieger. Die Bedeutung des Buchhändlers, Verlegers und Leihbibliothekars Johann Christian Konrad Krieger für die Entstehung eines regionalen Buchmarkts und einer Lesekultur in Hessen um 1800. Diss. Gießen 1995, S. 232-256.

93 Vgl. auch die hämische Fußnote des Redakteurs (Grolmans?) des Aufsatzes: Wer darf die Eudämonia lesen? Wer darf sie nicht lesen? Mit welcher Gemüthsstimmung soll man sie lesen? In: 'Eudämonia' 5 (1797), S. 260: Ein gewisser 'Schmidt' fand für gut dieses infame Product, nebst der ähnlichen Scarteke des Lau 'de Deo, mundo et homine' unter einem neuen Titel abdrucken und zur Beförderung der anti-christlichen Aufklärung ins Publicum bringen zu lassen. Zu 'Giessen', wo er damals stand, würde er dieserwegen das Consilium abeundi erhalten haben, wenn er demselben durch seinen Abzug nach Jena nicht zuvorgekommen wäre. In 'Jena' war man nicht so ekel.

94 Universitätsarchiv Gießen: Allg. F2. Serenissimi Hochfürstlicher Durchlaucht befehlen gnädigst, daß F. Universität berichten solle, "Wie Sie das Ihr anvertraute Censur-Amt bishero verwaltet- und nach welchen Regeln und Grundsätzen Sie in dessen Ausübung Sich bemessen habe". 1792. Schreiben der Fürstlichen Regierung an die Universität vom 4. Juli 1792: "Wir können Euch dabey zugleich nicht bergen, daß Wir euer Verfahren über die befragte Schrift, Unsern an Euch hierüber ergangenen Verfügungen nicht ganz entsprechend, auch zur Erreichung der, bey Überschickung Unsers Befehls mit einer Stafette, mit zum Grund gelegenen Hauptabsicht, wenigstens vor der Hand die Verbreitung dieser Schrift zu verhindern und der verdrießlichen dermalen wirklich bey dem Vicariats Hofgericht zur Anzeige gediehenen Anmaßung des ReichsFiscals nicht allenfalls weiteren Stoff zu geben - die Einschlagung der zweckdienlichen Mittel in der Behandlung vermißt haben, die sich doch gleichwolen in dieser Sache von selbst darstellen müßten. Da der Kriegerische Gehülfe Candidat Kempf und der Ladendiener Koch bey dem ersten Verhör früh Morgens kein Exemplar finden wollten, der Krieger selbst aber in der Sache zu Marburg abwesend war, so hätte sogleich 1.) der Kriegerische Laden bis zur Ankunft des Kriegers versiegelt und 2.) Kempf und Koch in leidlichem Arrest behalten werden sollen. Und da ferner Kempf sogleich deponirte, daß das Buch in der Kriegerischen Druckerey zu Marburg gedruckt worden sey, wo Krieger einen beträchtlicheren Buchladen als in Giesen hat, und ohnehin das Hauptdepot an dem Ort des Drucks und Verlages zu seyn pflegt, so hätte mit der dasigen Universität, der unter den vorliegenden Umständen eine vorzügliche Obliegenheit zur Inquisition zukam, wegen Treffung der nöthigen Maasregeln communicirt werden müssen. Auch hätte, nachdem Krieger ad quaest. 13 geantwortet: Alle Exemplarien seyen verschickt an Buchhändler, außer den noch zu Giesen vorgefundenen ihm die weitere Frage wenigstens vorgelegt werden sollen: ob und wie viel Exemplarien er noch in Marburg vorräthig habe; wiewohl eben diese Frage vor der quaest: 13 noch schicklicher gewesen wäre. Sodann hätten dem Krieger die drey oder sechs Exemplarien, die er dem Prof. Schmidt gegeben haben will, abgefordert, und er zu Vorlegung seines Journals, um darzuthun, wohin er die 300. Exemplarien versendet, alsbalden angehalten werden müssen. Endlich bemerken wir annoch weiters, daß Ihr in eurem Bericht vom 19n vorigen Monats zwar angeführt habt, daß das Buch quaestionis von dem Krieger heimlich in Marburg gedruckt worden, gleichwolen aber solches nicht in den Kriegerischen protocollarischen Aussagen, sondern nur dieses von ihm gesagt wird, daß es ohne Censur gedruckt worden sey." Vgl. auch Universitätsarchiv Gießen. Allg. F2: Fragmenta actorum in der Untersuchungs Sache wider den H. Professorem Logices Christian Erhard Schmid und dem Buchhändler Johann Christian Krieger wegen dem Verlag Zweyer so titulirter supernaturalistischer Manuscripte: De tribus impostoribus mundi et De Deo, mundo et homine 1793.

95 Vgl. Krüger, Die Eudämonisten, S. 481-483.

96 Fürstlich-Braunfelsisches Archiv. A. 26.9/II.I. 171 d. Schreiben Ludwig Adolf Christian von Grolmans an den Grafen Wilhelm zu Solms-Braunfels vom 3. Januar 1793. Grolman war mit dem Grafen befreundet, hatte auch, vermutlich während seiner Wetzlarer Tätigkeit am Reichskammergericht, im Schloß des Grafen verkehrt. Auch bekleidete ein Mitglied des Gießener Grolman-Clans, ein gewisser Adolf Grolman, in eine Stellung am Braunfelsischen Hofe. Vgl. Karl Esselborn: Ludwig von Grolman. Ein Lebensbild. In: Archiv für hessische Geschichte und Altertumskunde. N.F. 7 (1910), S. 337-416, hier S. 349. Von Interesse ist in diesem Zusammenhang auch folgende, sich gegen Vorwürfe eines Rezensenten der 'Allgemeinen deutschen Bibliothek' verwahrende Bemerkung Grolmans in seinem Aufsatz 'Grade Erklärung eines Mannes ohne Maske' im ersten Band der 'Eudämonia,' S. 209: "Und Sie, edle, Verehrungswürdigste, Fürstin zu S[olms] L[aubach] und Sie eben so edler und Verehrungswürdigster Fürst zu S[olms] Br[aunfels] und Sie, vortrefflicher Graf zu S[olms] R[ödelheim] der seit seiner frühen Jugend mich seinen Freund nannte, und mich ganz kennet, sagen Sie selbst, welchen Einfluß ich auf Ihre Höfe, (diejenigen, denen ich allein persönlich bekannt bin) oder auf Ihre Dikasterien gehabt; wenn ich in Ihre Dienste zu schieben einzuschieben mich unterstanden; welchen Illuminaten ich Ihnen aufgeschwazt, oder durch Damen habe aufschwazen lassen? Und alle Diener dieser drei Höfe mögen es frey heraus sagen, wo? und wie? ich ihnen geschadet, welchen Fremden ich eingeschoben, oder welchen ich unglüklich gemacht hätte? Doch ich muß der Wahrheit zur Steuer noch hinzufügen: an den ersten dieser Höfe habe ich einen hiesigen 'armen Jungen' , den man dann zu meinen Jüngern rechnen mag, 'als Stallknecht' empfohlen, und wirklich angebracht." Greineisen, der in seiner Rechtfertigungsschrift (S. LI) Stellung zu dieser Passage nimmt, widerlegt diese Schutzbehauptungen Grolmans, indem er darlegt, daß Grolman nicht nur seiner Vetter als Kabinettsekretär an den Fürstlich Braunfelsischen Hof vermittelt hat, sondern auch einen gewissen Hüffel als Amtssekretär. Zu den Kontakten L. A. C. Grolmans zu dem Grafen Wilhelm von Solms-Braunfels vgl. auch Fürstlich-Braunfelsisches Archiv. A. 26.9/II.I. 171 d. Schreiben Grolmans an Wilhelm von Solms-Braunfels vom 23. April 1796:

Durchlauchtigster Fürst, Gnädigster Herr!

Ich danke Ew. Hochfürstl. Durchlaucht unterthänigst und auf das Verbindlichste für die gnädige Mittheilung einer Kritik. die ganz wahr und mir ganz aus der Seele geschrieben ist. Meine Aufsäzze müssen es auch bezeugen, daß ich mich nach den darin enthaltenen Grundsäzzen zu richten suche. In dem nächsten 5ten Stück wird ein Aufsatz unter meinem Nahmen erscheinen, der ohnerachtet er gegen die schändlichsten persönlichen Angriffe gehet, dennoch mit der größten Kälte u. Moderation abgefaßt ist. Allein so viel Menschen, so viel Sinne; mancher glaubt, man nehme seinem Aufsatz die Kraft, wenn man die Heftigkeit wegstreicht oder unter sprudelnde Hitze Wasser gießt. Da wir eine Art von Republik formiren, u. viele von uns den Journal Ton, so wie man ihn jetzt verlangt, noch nicht ganz inne haben; so hält es schwer allenthalben zu remediren. Doch hoffe ich es soll auch in diesem Stück immer besser gehen.

Bey der Gelegenheit darf ich Ew. Hochfürstl. Durchl. doch etwas klagen. Dero gnädige Vorsprache hatten wir es zu verdanken, daß für den Hochfürstl. Weilburgischen Hof zwey Exemplare des ersten Bandes abgiengen. Diese wurden aber leider bey dem 2ten Bande ganz abbestellt, ohnerachtet, wie ich überzeugt bin, dieser 2te Band an Interesse u. innerer Güte den ersten übertrift. Und das geschah zu einer Zeit, wo in der Schandschrift: Genius der Zeit eben dieser Fürstl. Weilburgische Hof auf das Häßlichste durchgehechelt wird. Sollte etwa ein Illuminat sein jakobiner Wesen dort treiben? Wenn Fürsten und ihre Minister uns nicht einmal lesen wollen u. uns ein par Exemplare abnehmen, da wir doch für Sie fast allein schreiben; wie läßt sich eine Änderung hoffen und wie können wir am Ende bestehen? Und wird das Journal unterdrückt, so ist es schlimmer, als wenn es nie da gewesen wäre!

Ich beharre in vollständigster Ehrfurcht Ew. Hochfürstlichen Durchlaucht unterthänigster Diener LAC. Grolman. Gießen d. 23. Apr. 1796.

N.S.

In diesem Augenblick erhalte von meinem Sohn, der unter dem Kürassier Regiment v. [...]yern im Halberstädtischen stehet, die positive Nachricht, daß am 14. sein Regiment die Ordre erhielt, sich so schleunig auf den Kriegsfuß zu setzen, daß es auf die erste Ordre marschiren könne. Er nennt noch 3. Kürassier 6. Infanterie Regimenter, 5. Füsilier Bataillons 1. Bat. Artillerie u. eine Kompagnie leichte oder reitende Artillerie der dortigen Gegend, welche die nemliche Ordre am nemlichen Tag erhalten. Die Sage ganz allgemein seye, es gehe nach den Grenzen von Holland, um die Franzosen erst durch Demonstrationen u. sodann mit dem Säbel zu bewegen Holland den Statthalter wieder zu geben. In Preußen braucht man nicht lange Zeit zum marschiren.

97 Johann Ludwig Justus Greineisen war 1751 in Wetzlar als Sohn des Prokurators am Reichskammergericht Eberhard Greineisen geboren, hatte seit 1771 in Jena Rechtswissenschaften studiert, wo er auch 1775 promovierte. Seit 1790 war er Privatdozent in Gießen. Am 24. März 1794 wurde er hier in Haft genommen und ihm der Prozeß gemacht, weil er angeblich in einem Gießener Bierhaus den Bürgern die Zeitungen vorzulesen und in der Leihbibliothek des Buchhändlers Heyer den Studenten schändliche und verderbliche Grundsätze beizubringen pflegte. Nach mehr als einem Jahr Arrest, am 15. Mai 1795, wurde er für schuldig erkannt, seinen Jakobinismus und seine Anhänglichkeit an die französische Konstitution und die damit verbundenen Grundsätze auf eine höchst unschickliche und unbesonnene Weise öffentlich geäußert und einem verbotswidrig bestehenden Studentenorden, der mit dem Illuminatenorden in Verbindung stehe, angehört zu haben. Deswegen wurde er von der Universität relegiert und von der Regierung sofort der Stadt verwiesen. Er begab sich nach dem in der Nähe Gießens gelegenen solmsischen Städtchen Lich, wo er die 1796 erschienene Verteidigungsschrift 'Eine' 'Geschichte politischer Verketzerungssucht in Deutschland' verfaßte. Danach ging er nach Hamburg, wo er auf ein milderes politisches Klima hoffen konnte, wurde Bibliothekar und später Vorsteher einer Pensionsanstalt und Schule für Mädchen, eine Stelle die er bis 1827 bekleidete, bevor er 1831 in Hamburg starb. Nach einer Anmerkung Karl Esselborns in der von ihm herausgegebenen Autobiographie Lindenmeyers: Ludwig Lindenmeyer: Jahrbuch meines Lebens. Darmstadt 1927, S. 360-361.

98 Greineisen: 'Verketzerungssucht', S. XXVI-XXVII.I: "Ich wurde deshalb fälschlich bey dem Fürsten als ein Verführer des Volkes, der die 'Hessen-Darmstädtischen 'Staatsbürger in Friedensstöhrer umschaffen wollte, angeklaget. Das Rescript, das von 'Darmstadt', um diese Denunciation zu untersuchen, erlassen wurde, ward nicht befolget, wie aus meiner an den Herrn Landgrafen gerichteten 'Apologie' zu ersehen ist: sondern ich wurde vielmehr, ohne vorherige Untersuchung, als der ärgste Missethäter den 24sten März 1794 in der Mitternachtsstunde, von einer gewafneten Macht überfallen. Der Anführer derselben, das Haupt der dortigen 'Obscuranten', der Regierungsdirector 'Grolman', in hoher eigner Person, kündigte mir an, daß ich ein Gefangner sey. Ob derselbe nun gleich der Wache den Befehl ertheilet hatte, bey der geringsten Widersetzlichkeit des Gefangenen, die strengsten Maßregeln zu ergreifen; so hielte er es doch nicht unter seiner Würde, gleich einem 'Judas Ischariot' an der Spitze derselben, damit ja nichts versäumet werde, mich auf die dasige Hauptwache zu begleiten. Den folgenden Tag wurde mir nun daselbst ein Zimmer zubereitet, als wenn ich der 'größte Missethäter' wäre. Desselben Fenster waren zwar mit eisernen Gittern verwahrt, da aber eines von denselben nach einem abgelegenen Orte ging, verschlug man dasselbe noch wohlbedachtlich mit harten Brettern. Die Thüre zu demselben, zwar mit einem guten 'französischen' Schloß versehen, ward noch überdies mit einem 'starken eisernen Riegel' und einem 'ungeheuren Vorhangsschloß' befestiget. Nur bey der Mahlzeit erlaubte man mir Messer und Gabel, und anfänglich sollte gar das Essen vorher untersucht werden, damit kein Gift, den Verbrecher von der auf ihn wartenden Strafe, befreyen möchte. Niemand durfte mit mir reden, folglich waren auch Bücher, ohne vorher durchgesehen zu werden, Contrebande. Den Gebrauch der Feder und Dinte erlaubte man mir alsdenn erst, wie ich mich, nach dem geendigten Verhör, dahin erklärte, meine Defensionsschrift selbsten zu verfertigen. 'Keiner' von diesen 'strengen Befehlen' gegen mich, wurde im 'mindesten, nach der Zeit aufgehoben'; sondern sie blieben während meiner Gefangenschaft in ihrer 'vollen Kraft'."

99 Vgl. Greineisen: 'Verketzerungssucht', S. XXVI: "So befande sich die Lage des Oberfürstenthums 'Hessen-Darmstädtischen' Antheils, als diese 'politische 'Ketzermacher schon mehrere Minen ohne Wirkung gesprenget hatten, um manchen biedern Staatsbürger, wegen seinen 'politischen 'Gesinnungen unglücklich zu machen, wie sie endlich darauf verfielen, auch an mir ihr Heil zu versuchen. Ihnen war es bekannt, daß ich ohne Schutz sey, nur den freundschaftlichen Umgang einiger 'edlen' Männer, 'die sie haßten', genoß. Sie glaubten daher bey mir wichtige Entdeckungen zu machen, wodurch sie andern würdigen Staatsbürgern, eine Grube zu graben, hoften."

100 [Georg von Cancrin:] 'Dagobert. Eine Geschichte aus dem jetzigen Freiheitskriege. Als Gegenstück zum Graf Donomar, einer Geschichte aus dem siebenjährigen Kriege'. Altona 1797, S. 43-45. Das einzige erhalten gebliebene Exemplar des Briefromans befindet sich in der Bayerischen Staatsbibliothek in München und gelangt nicht in die Ausleihe. Eine Fotokopie ist in dem von mir eingerichteten Archiv für literarische Kultur in Mittelhessen am Fachbereich Neue Deutsche Literaturwissenschaft der Justus-Liebig-Universität Gießen verfügbar.

101 An dieser Einschätzung kann auch der anonyme Verfasser [Grolman?] der beiden die Mitgliedschaft von Riedesels im Illuminatenorden betreffenden Statements in der 'Eudämonia' nicht deuteln, wenn er die Autorität Cromes als Verteidiger Riedesels herabzuwürdigen versucht. Vgl. 'Eudämonia' 1 (1795), S. 270 und 545 f.

102 August Friedrich Wilhelm Crome: 'Selbstbiographie. Ein Beitrag zu den gelehrten und politischen Memoiren des vorigen und gegenwärtigen Jahrhunderts'. Stuttgart 1833, S. 234-239.

103 Noch eine Redaktionsanmerkung zu dem im vierten Band der 'Eudämonia' (1797), S. 287-318, veröffentlichten Aufsatz 'Die neueren Arbeiten des Illuminatismus im katholischen Deutschland' ist als der zähneknirschende Kommentar Grolmans auf diese Episode interpretierbar: "Mögten sie [die Fürsten] doch endlich gewahr werden, daß die Hofschranzen, die bei ihren Zerstreuungen, Vergnügungen, Lieblingsbeschäftigungen, ja wohl in ihren Kabinetten, von den Illuminaten beruhigende einschläfernde Vorträge machen, die 'zuverlässigen' Menschen nicht sind und nicht seyn können, auf deren spaß- oder ernsthaften Vortrag sie die erste und ernsthafteste Staatssache unserer Zeiten ankommen lassen. Möchten sie doch lieber, wie der müde Wanderer, vom schweren Traume um Mitternacht erwachen, und Räuber und Mörder um sich sehen, oder am hellen Mittage das blutige Bild des indolenten, gutherzigen aber von seinen Volksverführern geschlachteten 'Ludewigs' schreckhaft vor sich schweben sehen!" (S. 299). Daß hier Grolman mehr als deutlich nicht so sehr den guillotinierten König von Frankreich als den Landgrafen von Hessen-Darmstadt im Auge hat, zeigt die bewußt gewählte altertümliche Form des Namens Ludwig, Ludewig, die von dem Landgrafen bevorzugt wurde.

104 Johann Ludwig Justus Greineisen: 'Ein paar Worte gegen Grolman'. Hamburg 1796. Die im Oktober erschienene acht Seiten umfassende Stellungnahme Greineisens wurde noch im selben Monat von Grolman im dritten Band der 'Eudämonia' (1796), S. 335-345, erwidert. Diese von Grolman namentlich gekennzeichnete 'Kurze Erklärung über ungesittete Zudringlichkeiten' verfolgt die Absicht, Greineisens 'Ein paar Worte' als die bloße Wiederholung und Vermehrung der Greineisenschen Schmähungen gegen seine Person abzutun, die "von einer boshaften und rachsüchtigen Seele im Enthusiasmus ihrer Leidenschaften vorgebracht" (S. 339) worden seien. Um Greineisen zusätzlich zu diskreditieren, stellte Grolman gleichzeitig die Vermutung in den Raum, daß es sich bei der Schrift um das Probe-Exerzitium eines Illuminaten-Novizen handeln müsse (S. 343). Bereits vorher waren verschiedene Aufsätze gegen Greineisens erste Rechtfertigungsschrift, und zwar sowohl unter der namentlich genannten Verfasserschaft Grolmans als auch anonyme, in die 'Eudämonia' eingerückt worden; i. e.: 'Eudämonia' 2 (1796), S. 383-418 und 419-430; 'Eudämonia' 3 (1796), S. 33-47.

105 Grolman: Grade Erklärung eines Mannes ohne Maske, S. 208. Die an dieser Stelle von Grolman unterbreitete Lesart ist in die historischen Festschriften der Universitätsjubiläen eingegangen, während man die ausführlichen und aufschlußreichen Stellungnahmen Greineisens in seiner Rechtfertigungsschrift (S. XLIX-LVI und S. 55-60) sowohl zu der Erklärung Grolmans als auch zu seiner Rolle als Ordensmitglied vernachlässigen zu dürfen glaubte.

106 Grolman, Grade Erklärung eines Mannes ohne Maske, S. 207.

107 Die Anzeige gegen Schmid und Krieger war von dem Frankfurter kaiserlichen Bücherkommissar Johann Conrad Deinet und dem kaiserlichen Rat und Fiskus Hans Albert Werner aus Wetzlar erstattet worden. Vgl. Haug: Krieger, S. 245.

108 Universitätsarchiv Gießen. Personalakte Crome. Vgl. auch Crome, 'Selbstbiographie', S. 142.

109 Die beiden Logenreden, insbesondere das 'Endliche Schicksal', haben übrigens zu einer Verwirrung in der Historiographie zur Gießener Freimaurerloge geführt, zu der Grolman durch eine Bemerkung in der 'Eudämonia' 2 (1796), S. 412, selbst den Anlaß gab. Hier behauptet Grolman nämlich in einer als Redaktionsanmerkung verkappten Annotation zu seiner Replik auf die Rechtfertigungsschrift Greineisens: "Der Novitz 'Greineisen' träumt davon, daß mit dieser maurerischen Rede die Loge zu Giessen geschlossen worden sey, die vier Jahre vor der Existenz dieser Rede schon geschlossen war, seit der Zeit immer geschlossen blieb, und es auch noch ist." Die Forschungen Helmut Keilers aus dem Jahr 1979 haben aber ergeben, daß weder Greineisens noch Grolmans Lesart zutreffend ist, sondern daß die Loge erst 1796, in dem Jahr also, in dem Grolman den obigen Satz verfaßte, geschlossen wurde. Vgl. Helmut Keiler (Hrsg.): "Dokumente der gerechten und vollkommenen Freymaurer-Loge 'Ludwig zu den drey goldenen Löwen' zu Gießen 5778-5796 [Gießen 1979], Einleitung, unpaginiert. Der Irrtum lag u. a. darin begründet, daß man die Reden Grolmans als tatsächliche Logenreden angesehen hat, statt sie als fiktive situative Einbindungen politischer Polemiken zu betrachten, die sich der Logenrede als bloßer literarischer Gattung bedienten. Daß die Texte allerdings die politische Absicht verfolgten, innerhalb der Logen eine Art von Selbstopfer-Hysterie zu erzeugen und gleichzeitig die vermeintliche illuminatische und jakobinische Weltverschwörung als deren Veranlassung darzustellen, ist gleichwohl nicht zu übersehen und zeigt die ganze Perfidie, mit der Grolman die Loge zu manipulieren suchte. Für die Geschichtsschreibung der Gießener Loge wäre in erster Linie von Belang, wie sich die übrigen Logenbrüder zu ihrem Meister vom Stuhl gestellt hatten und wie groß die Parteigängerschaft Grolmans innerhalb der Loge war; daß diese allerdings auch nicht gering gewesen sein kann, mag man daraus ersehen, daß Vertraute Grolmans wie die Professoren Musäus und Büchner Logenmitglieder waren.

110 [Johann Jakob Wirz:] 'Nöthiger Anhang zu der jüngst erschienenen: Endliches Schicksal des Freymaurer-Ordens in einer Schlußrede gesprochen vom Br.*** vormals Redner der Loge zu *** am Tage ihrer Auflösung'. Kassel 1795 [recte 1793], S. 10.

111 Vgl. beispielsweise: Etwas über den Flüchtling Rebmann. In: 'Eudämonia' 3 (1796), S. 33-47.

112 Bruchstücke, veranlaßt durch die beyden Schriften: "Endliches Schicksal des Freymäurerordens, in einer Schlußrede, gesprochen von Br*** vormals Redner der Loge zu *** am Tage ihrer Auflösung 1794. und: Nöthiger Anhang zu der Rede: Endliches Schicksal des Freymäurerordens etc. 1795. Entworfen im Frühling 1794. In: 'Die Geißel' (1797), Nachdruck Nendeln 1972, 6. H., S. 177-209.

113 Georg Friedrich Rebmann: 'Vorläufiger Aufschluß über mein sogenanntes Staatsverbrechen, meine Verfolgung und meine Flucht. In einem Schreiben an des Koadjutors von Dalberg Erzbischöfliche Gnaden.' London 1796. Nachdruck in ders.: 'Ideen über Revolutionen in Deutschland. Politische Publizistik'. Leipzig 1988, S. 173-197, hier S. 183: "Endlich trat der Direktor des Bundes, der bekannte Kleriker und Ritter vom gelben Adler [Zimmermann], durch seinen Sancho Pansa, den Verfasser des 'Endlichen Aufschlusses über den Freimaurerorden', den verräterischen Herausgeber des Philo und Spartakus, den Regierungsdirektor Grollmann oder von Grollmann in Gießen, selbst in der 'Eudämonia' auf den Kampfplatz, um mir gleichsam den Gnadenstoß zu versetzen. Ich habe dieses Pasquill erst auf meiner Reise gesehen, und ich weiß nicht, ob ich über die Albernheit oder die giftige Bosheit der Verfasser mehr erstaunen soll. [...] Wer Lust hat, mit diesem Matador der Obskuranten näher bekannt zu werden, lese eine kleine Schrift von D. Greineysen, dessen Verfolgung durch Herrn Grollmann betreffend. Herr G. war selbst Illuminat und ist dieser Gesellschaft nur deswegen gram geworden, weil er in derselben seine ehrgeizigen und selbstsüchtigen Absichten nicht erreichen konnte. Sein Ordensname war Gratianus. Philo [Knigge] erkannte in ihm gleich den ehrlosen Menschen, der er wirklich war."

Georg Friedrich Rebmann: Knigge. In: 'Die Schildwache' 1 (1796), S. 59-66. Nachdruck in ders.: 'Ideen über Revolutionen in Deutschland'. Politische Publizistik. Leipzig 1988, S. 98-102, hier S. 99 f.: "So schlichen sich denn bald leichtsinnige, unmoralische Menschen, ja selbst auch Spione der immer gegen jede Art von Aufklärung und Menschenwohl wirkenden Jesuiten in den [Illuminaten-]Orden ein, denen eine Gesellschaft, welche überall die Werke der Finsternis entlarvte, nicht gleichgültig sein konnte. Ich führe hier nur den saubern Regierungsdirektor von Grollmann in Gießen an, der als Spion des Betrügers Starck unter dem Namen Gratianus einige Mitglieder des Illuminatenordens, hauptsächlich Ptolemäus Lagi [Riedesel], zu hintergehen wußte. Der Menschenkenner Knigge erkannte in ihm gleich den Niederträchtigen, der er wirklich war, wurde aber teils überstimmt, teils mißtraute der gutmütige Mann seinem eignen Urteil sehr. Die Folge bewies ihm freilich, daß er sich nicht geirrt hatte."

Georg Friedrich Rebmann: Fortsetzung der Ideen über Revolutionen in Deutschland. In: 'Die Geißel' 2 (1798), S. 115-142. Nachdruck in ders.: 'Ideen über Revolutionen in Deutschland'. Politische Publizistik. Leipzig 1988, S. 149-163, hier S. 157: "Nur die Schmeichler der Fürsten, nur die verkauften Ratgeber, nur die feilen Kreaturen von Metzen und adligen Tagdieben, nur die Grollmanns und ihresgleichen wird das Volk in den Kot zurücktreten, aus dem sie gekrochen sind [...]."

114 [Georg Friedrich Rebmann:] 'Obscuranten-Almanach auf das Jahr 1798.' Paris o. J., Nachdruck Nendeln 1976.

115 In bezug auf Grolman kommen in erster Linie der Abschnitt "Grolmann.", S. 72-84, und im Kapitel "Die dunkle Landkarte" die auf Hessen-Darmstadt bzw. Gießen bezogenen Passagen S. 214-228 in Betracht; weitere Grolman-Erwähnungen S.24, 32, 37, 47, 49, 50.

116 Friedrich Christian Laukhard: 'Leben und Schicksale. Fünfter Theil, welcher dessen Begebenheiten und Erfahrungen bis gegen das Ende des Jahres 1802 enthält'. Leipzig 1802, S. 144 f.

117 Ebd. S. 146. Der Vollständigkeit halber sei auf eine weitere kurze Grolman-Anspielung bei Laukhard hingewiesen: Friedrich Christian Laukhard: 'Franz Wolfstein oder Begebenheiten eines dummen Teufels.' 1799. Teilnachdruck in: Christoph Weiß: 'Friedrich Christian Laukhard (1757-1822).' Bd. II.I. S. 176: "Herr 'Grolmann' zu 'Gießen', nicht der Eudämonist 'von Grolmann 'oder jener politische Großinquisitor, welcher sich durch die Verfolgung des Doctors 'Greineisen' ein Denkmal in der skandalösen Chronik gestiftet hat, sondern der gelehrte, philosophische und humane Criminalist 'Grolmann' fodert [...].

118 Bereits in den Briefen Grolmans an Zimmermann vom 6. und vom 28. Oktober 1794 hatte Grolman gelegentlich darauf verwiesen, daß er wegen der Kriegslage mit dem Verpacken des Archivs beschäftigt sei: Koblenz ist in der Gewalt der Carmagnoles, u. bey Mainz stehen sie so nahe an der Vestung, als die Kaiserl. u. Preußen erstlich nach 8. Wochen, u. mit Verlust 1500. Mann kommen konnten. Ich habe, ohnerachtet hier alles voll kaiserl. Depots liegt, die ruhige Winterquartiere zu haben glauben, dennoch von meinem Herrn Befehl bey erster mehrerer Gefahr das Archiv zu flüchten. Darum lasse ich packen, u. setze meinen Stab vorerst an die Sächsische Grenze. Indessen sind Sie, Verehrungswürdigster! nicht nur durch den Rhein, sondern auch durch die Weser gedeckt, weit sicherer als wir. Ich brauche alle Vorsicht, habe selbst gepackt; aber noch nie, auch jetzt hat mein Muth mich verlassen." Hessisches Staatsarchiv Darmstadt. E 12, 108/1: Grolman-Nachlaß. Brief Grolmans an Zimmermann vom 28. Oktober 1794. Die Bemerkungen Grolman sind nicht zuletzt auch deswegen bemerkenswert, weil er gleichzeitig im Untersuchungsprozeß gegen Greineisen u. a. wegen dessen im Heyerschen Lesekabinett verbreiteten defätistischen Reden inquirierte.

119 Der Adelsstand hatte bis dahin (seit 1741) nur für die Nachkommen des ältesten Sohnes des Stammvaters Georg Grolman, der 1714 als Kaufmann und kurfürstlich brandenburgischer Rentmeister gestorben war. Mit der Thronbesteigung des preußischen Königs 1786 wurde dieser Adel u. a. auch auf die Gießener Nachkommen der jüngeren Söhne Georg Grolmans ausgedehnt. Da es Ludwig Adolf Christian Grolman trotz heftigen Zuredens nicht gelang, seinen Gießener Vetter Adolf Ludwig Grolman zur Annahme des Adelsbriefes zu bewegen, gab es in Gießen einen adligen und nichtadligen Familienzweig. Vgl. Karl Esselborn: Karl Ludwig Wilhelm von Grolman in Gießen. In: J. B. Dieterich und Karl Bader (Hrsg.):'Beiträge zur Geschichte der Universitäten Mainz und Gießen'. Darmstadt 1907, S. 406-461, hier S. 407-408.


   
Copyright © 2000-2009 Rolf Haaser
Design by Inter@ctive Design