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SCHREIBEND DIE ZEIT STILLSTELLEN
Randnotizen zum 13. Freiburger Literaturgespräch Von Michael Braun Erschienen in: Rheinpfalz, 20.11.1999 Der Prozess des Schreibens hat etwas Unendliches. Seit der Mythos in Schrift verwandelt wurde, beansprucht der Text des Schriftstellers, sich ins Endlose zu verlängern, um das Fortschreiten der Zeit, das Näherrücken des eigenen Todes und das endgültige Verstummen hinauszuschieben. So wiederholt die Literatur das Sprechen der Scheherazade, die tau-sendundeine Nacht gezwungen war, sich durch das Erzählen den Tod vom Leib zu halten. Und trotz aller postmodernen Selbstrelativierungen der Literatur gibt es auch heute noch Autoren, deren Schreiben etwas Graphomanisches hat, die durch ihr fortdauerndes Erzählen die Zeit stillstellen wollen und den unerhörten Anspruch erheben, ihr "ganzes Zeitalter aufzuschreiben". Zu diesen artistischen Graphomanen zählt auch der zwischen Frankfurt und Südfrankreich hin- und herpendelnde Peter Kurzeck, der beim 13. Freiburger Literaturgespräch einige Exempel seiner Beobachtungs-, Schreib- und Erinnerungs-Sucht vorgeführt hatte. Kurzeck las das erzählerisch wunderbar wuchernde Protokoll eines einzigen Samstags im März 1984, eine Textprobe aus seinem auf fünf Bände angelegten Roman-Projekt, dessen erster Teil unter dem Titel "Übers Eis" 1997 im Stroemfeld Verlag erschienen ist. Nicht viel geschieht an diesem ganz gewöhnlichen Samstag in Frankfurt-Bockenheim, an dem der Erzähler seine vierjährige Tochter Carina ausführt und sich wahre Orgien von Süßwaren-Konsum ausdenkt. Fast scheint es, als wolle der Roman-Chronist in einer Flut von Aufzählungen von Kuchen, Torten und Backwaren die verführerisch süße Waren-Welt inventarisieren. Aber der Erzähl-Weg führt hier nach innen, immer wieder wird der Erzähler bei der Beschreibung dieses Samstagnachmittags im März von Erinnerungen an andere Samstagnachmittage überwältigt - und so verwandelt sich sein Text in eine "Galvanisieranstalt für Zeit und Erinnerung". Auch als Kurzeck im anschließenden Gespräch die Entstehung seines Romanprojekts darlegte, entstand daraus die wunderschön verwinkelte Erzählung über die naturwüchsige Expansion des Stoffs: Aus einem ursprünglich auf drei Seiten angelegten Nachwort zu einem Roman entstand der unab-schließbare Text eines Autors, der wie besessen um sein Leben schreibt. Überlebenskunst mit Hilfe der Literatur betrieb nicht nur die sagenhafte Scheherazade, sondern auch der antike Sklave und Fabeldichter Äsop. [...] |
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