Poetikvorlesung | Kurzeck | Pressemappe |
Landleben in Demut und trübem Licht von Roderich Feldes Erschienen in: Süddeutsche Zeitung, Ostern 1987 "Wie das Leben so spielt:" heißt es im ersten Roman von Peter Kurzeck, der 1979 unter dem Titel "Der Nußbaum gegenüber dem Laden in dem du dein Brot kaufst" erschienen ist, "eines Tages wachst du auf und bist schon jahrelang Taxifahrer - was noch? Was denn sonst. Alles übrige sekundär weit weg oder nie gewesen. Alles was dir sonst noch einfällt, hast du bloß geträumt, bestenfalls, geduldig dösend am Steuer." Diese Zeilen könnten als Motto seinem neuen Roman vorangestellt werden, verweisen sie doch schon umfassend auf die Sprachgesten, Erzählweise, Absichten und Themen seiner Arbeiten, die das Leben als-,Verlustgeschäft beschreiben, das unbemerkt wegfließt und zum Seufzen vergeblich scheint. Peter Kurzeck versucht, Zeit zu erzählen, die Zeit, die zwischen dem Einschlafen und dem demütig registrierenden Aufwachen vergangen ist. Er macht sichtbar, daß diese Lebensläufe nicht eine Kette aus zufälligen Unglük-ken sind, sondern ein Konglomerat aus Räumen, Träumen, Erziehung, fehlender Beweglichkeit und ökonomischen Zwängen. Ist es im Roman "Das schwarze Buch" (1982) noch Merderein, ein Vertreter, fast ein Stellver-treter, der durch Frankfurt am Main treibt, selbstzerstörerisch frei zwischen Baustellen, Wasserhäuschen und Versuchen, Heimat zu gewinnen, so ist es in "Kein Frühling" ein Dorf, genauer: die Einwohnerschaft von Staufenberg, das wenige Kilometer nördlich von Gießen in Oberhessen auf einem Basaltfelsen liegt. Hier ist Peter Kurzeck, der 1943 in Böhmen geboren wurde, aufgewachsen; hier hat er bis Ende der 70er Jahre gelebt. Aber sein Buch, das die Zeit vom Ende des Zweiten Weltkriegs bis Mitte der fünfziger Jahre beschreibt, ist keine mit Anekdoten angereicherte Chronik, ist auch keine volkskundliche Dorfstudie, es ist ein Roman, in dem das wenig Spektakuläre - kein Mord geschieht, keine Liebe entwickelt sich dramatisch -, das den Alltag, das Denken, Fühlen und Handeln, das psychische Klima prägt, vor dem Vergessen bewahrt wird. Seine Sprache ahmt das Sprechen nach. Kleine Sequenzen, melancholisch eingefärbt, diesig wie das Wetter, mit Dialektzitaten, Bildern und Vergleichen aus dem ländlichen Lebensraum, wachsen zum poetischen Monolog eines Menschen-Stimmen-Imitators zusammen. "Wie es scheint", heißt es im ersten Viertel des Romans, "hast du schon damals diesen unsichtbaren Begleiter gehabt, dem du alles zeigst und erklärst." Diesem Du, einer Art Doppelgänger, werden Erinnerungen und Lebensumstände aus Staufenberg erzählt, die in ein trübes Licht getaucht sind. Es nieselt, und Dreckklumpen kleben an den Schuhen. Die Hoffnungen schmelzen wie Schnee im Regen, aber der Frühling, der neue Hoffnung spenden könnte, will nicht kommen. Peter Kurzeck erzählt, als zeigte er Photogra-phien, graubraune, die aber nicht Feste und Feiern, sondern die täglichen Mühen und das Treiben der Kinder festhalten. Wir sehen den Käfig auf dem Lastwagen der Hundeverkäufer, die Un-fallschuhe aus der Fabrik, die den Männern ermöglichen, wenigstens ohne Verlust aufs Feld zu gehen, die dicken Brieftaschen der Viehhändler, die Kinder, die nach Lollar herunterlaufen, dem ersehnten Zirkus entgegen. Wir sehen die Sonntagsspaziergänger, die sich für ein Photo gruppieren, sehen den Fahrschüler, der seine Mappe im Zug vergessen hat, sehen die Ehrfurcht vor dem Fabrikherren, die Hütt, den Beichtstuhl für Maschinen, die gekrümmten Rücken der Väter, die an der Doppelbelastung: Nebenerwerbslandwirtschaft und Schichtarbeit zerbrechen, weil eine Tätigkeit allein die Familie nicht ernähren kann. Wir sehen die Kinder Rüben aushöhlen, sehen bei kleinen Diebstählen in den Betrieben zu, die Keller und Gärten mit Ölkännchen, Feilen, Schaufeln und Ziegelsteinen füllen. Wir sehen die Werkstätten des Dorfes und wunderliche Alte, die nur noch heimlich essen. Wir sehen ein Auto im Dorf und die Einwohner, die verlegen linkisch den rechten Weg zeigen. Wir sehen auch die Mütze, die viele Seiten zuvor vermißt wurde, an einem Zaun hängen, sehen, daß nichts verloren geht, alles ineinandergreift: das Wetter, die Gefühle, die Wünsche. Und vor allem hören wir ihre Stimmen, ihre Sätze, die der Autor aus ihren grauen Gedanken formt, wenn sie am Gartentor stehen und grübeln, wenn er ihr Leben nachstellt, das langsam vom Frühling in die Trostlosigkeit treibt, in der kein Frühling mehr zu erhoffen ist. "Kind ohne Welt. Mit zwei noch zwischen verschlossenen Türen im Hausflur kriechen. Mit sieben, acht auf dem Dachboden ein gottverlassenes Weltall vorfinden. Mit neun am Schindgraben, Lagerfeuer anzünden. Mit dreizehn in zugigen Winkeln stehen und nicht wissen, worauf wir warten. Mit sechzehn Schoul fierboj. Seit zwo Jahren schaffen gehen. Ein Sommer kommt, da sind wir auf jeder Kirmes. Mit vierundzwanzig verheiratet Mit achtundzwanzig zwo Kinner und es noch einmal bei der Bahn probieren. Mit dreißig noch an den Traktor glauben, an den Fleiß und die eigene Kraft jeden Tag, von der Hütt aufs Feld und Gott dem Herrn nicht begegnet. Mit fünfunddreißig umgibt uns die Müdigkeit wie ein Schneegestöber, aus dem wir nicht mehr herauskommen werden. Mit sechsunddreißig am Tor stehen, husten und rauchen, müssen uns einmal verhoben haben. Ein paar Jährchen später krank geschrieben, ganz blau im Gesicht, wie durchgeknickt in der Mitte, umversetzt, kommt das Geld uns zum Fehlen und mit der Feldarbeit und unserem eigenen Leben sind wir auch hoffnungslos im Verzug. Wieder zur Kur, muß man dankbar sein, mit bleischweren Gliedern im immer dichteren Dämmer neben dem Hackstock sitzen, selbst wie ein Hackstock. Am besten aufwachen ohne Erinnerung. Den vergangenen Tagen und dem eigenen Namen hinterdreingrübeln - da und dort gegangen, wo ist die Zeit uns denn hin? - und zehn Jahre eher sterben." Die naive Demut (muß man dankbar sein für), die Trauer über die unerfüllbaren Wünsche, die fast ritualisierten Bewegungen zwischen Hütte, Feld und Bett, das Verwurzeltsein in diesem Ort, das einen Umzug in die Stadt unmöglich macht, der Glaube an die Unabänderlichkeit dieser Verhältnisse sind die Grundfesten für diese Lebensform, die in diesem lesenswerten Roman zur Sprache kommt. Trotz des Verzichtes auf Dramatik und soziokulturelle Diskurse, auf Idyllisie-rung und Verteufelung gelingt es, ein Lebensgefühl zum Sprechen zu bringen, das diejenigen, die es uns in den Dörfern vorgelebt haben, in ihrer Sprachlosigkeit nicht mitteilen konnten. Hoffentlich wird es Peter Kurzeck in dem angekündigten Folgeband gelingen, die Veränderung, die der Wohlstand, die Motorisierung, Versandhauskataloge, Fernsehprogramme, Bauwellen bewirkt haben und die Revolutionen gleichkommen, die Demut und den Glauben an die Unabänderlichkeit ausgelöscht haben, in eine ebenso autochthon poetische Sprache zu verwandeln. PETER KURZECK: Kein Frühling. Roman. Stroemfeld/Roter Stern, Basel und Frankfürt am Main 1987. 338 Seiten, 38 DM. |
|
Copyright © 2000-2009 Rolf Haaser Design by Inter@ctive Design |